Der große Gatsby (German Edition)
Sträuchern des Parks herein. Daisy stellte sich mit dem Rücken zu uns vor den Spiegel und richtete sich das Haar.
»Das ist ja eine todschicke Suite«, flüsterte Jordan respektvoll, und alle lachten.
»Mach noch ein Fenster auf«, befahl Daisy, ohne sich umzudrehen.
»Es gibt keins mehr.«
»Tja, dann müssen wir wohl unten anrufen und eine Axt verlangen…«
»Am besten schert man sich gar nicht um die Hitze«, sagte Tom ärgerlich. »Mit deinem Gejammer machst du es nur zehnmal schlimmer.«
Er rollte die Whiskeyflasche aus dem Tuch und stellte sie auf den Tisch.
»Warum lassen Sie sie nicht in Ruhe, alter Knabe«, bemerkte Gatsby. »Sie waren es doch, der in die Stadt fahren wollte.«
Einen Moment lang herrschte Schweigen. Das Telefonbuch rutschte vom Nagel an der Wand und klatschte auf den Boden, worauf Jordan »Oh, Verzeihung« flüsterte, aber diesmal lachte keiner.
»Ich heb’s auf«, erbot ich mich.
»Ich hab’s schon.« Gatsby untersuchte die aufgetrennte Kordel, murmelte interessiert »Hm!« und warf das Buch auf einen Stuhl.
»Das ist ja wohl Ihr Lieblingsausdruck, was?«, sagte Tom scharf.
»Welcher denn?«
»Na, das ewige ›alter Knabe‹. Wo haben Sie das überhaupt aufgeschnappt?«
»Pass mal auf, Tom«, sagte Daisy und drehte sich vom Spiegel zu ihm um. »Wenn du jetzt anfängst, Leute zu beleidigen, bleibe ich keine Minute länger hier. Ruf unten an, und bestell Eis für den Mint Julep.«
Als Tom den Hörer abnahm, entlud sich die angestaute Hitze in Musik, und wir lauschten den feierlichen Akkorden von Mendelssohns Hochzeitsmarsch aus dem Ballsaal unter uns.
»Stellt euch bloß vor, bei dieser Hitze zu heiraten!«, seufzte Jordan.
»Ach – ich habe mitten im Juni geheiratet«, sagte Daisy. »Louisville im Juni! Irgendjemand fiel in Ohnmacht. Wer war das noch gleich, der damals in Ohnmacht fiel, Tom?«
»Biloxi«, antwortete er knapp.
»Ein Mann namens Biloxi. ›Blocks‹ Biloxi. Er stellte Boxen her – wirklich – und kam aus Biloxi, Tennessee.«
»Sie haben ihn dann zu mir nach Hause gebracht«, ergänzte Jordan, »weil ich nur zwei Häuser von der Kirche entfernt wohnte. Und er blieb drei Wochen, bis Daddy ihm schließlich die Tür wies. Einen Tag später war Daddy tot.« Und als fürchtete sie, das könne pietätlos klingen, fügte sie hinzu: »Es hatte nichts miteinander zu tun.«
»Ich kannte mal einen Bill Biloxi aus Memphis«, sagte ich.
»Das war sein Vetter. Er hat mir damals seine gesamte Familiengeschichte erzählt. Und mir einen Aluminium-Putter geschenkt, den ich heute noch benutze.«
Die Musik war jetzt verstummt, die Zeremonie hatte begonnen, und langer Beifall wehte zum Fenster herein, mit gelegentlichen »Ja-ha-ha!«-Rufen dazwischen, gefolgt von jäh einsetzender Jazzmusik, als der Tanz anfing.
»Wir werden alt«, sagte Daisy. »Wenn wir jung wären, würden wir jetzt aufstehen und tanzen.«
»Denk an Biloxi«, warnte Jordan sie. »Woher kanntest du ihn, Tom?«
»Biloxi?« Er versuchte angestrengt, sich zu konzentrieren. »Ich kannte ihn gar nicht. Er war Daisys Freund.«
»War er nicht«, entgegnete sie. »Ich hatte ihn noch nie gesehen. Er kam mit dem Zug runter, den du gechartert hattest.«
»Er behauptete aber, dich zu kennen. Sagte, er sei in Louisville aufgewachsen. Asa Bird schleppte ihn im letzten Moment an und fragte, ob wir einen Platz für ihn hätten.«
Jordan lächelte.
»Wahrscheinlich hat er sich damit eine Fahrt nach Hause ergaunert. Mir erzählte er, er sei Präsident eures Jahrgangs in Yale gewesen.«
Tom und ich schauten uns verdutzt an.
»Bil ox i?«
»Erstens hatten wir gar keinen Präsidenten…«
Gatsbys Fuß trommelte einen kurzen, rastlosen Rhythmus auf den Boden. Auf einmal fixierte ihn Tom.
»Ach, apropos, Mr. Gatsby – ich höre, Sie haben in Oxford studiert?«
»Das stimmt nicht ganz.«
»O doch, ich habe gehört, Sie waren in Oxford.«
»Ja – ich war dort.«
Eine Pause. Dann Toms Stimme, ungläubig und schneidend:
»Sie müssen ungefähr zur gleichen Zeit dort gewesen sein, als Biloxi in New Haven war.«
Wieder eine Pause. Ein Kellner klopfte und brachte zerstoßenes Eis mit Pfefferminz, doch auch sein »Danke« und die leise ins Schloss fallende Tür konnten das Schweigen nicht brechen. Endlich würde dieses wichtige Detail aufgeklärt werden.
»Ich sage Ihnen doch, dass ich dort war.«
»Das habe ich schon verstanden, aber ich würde gerne wissen, wann.«
»1919. Ich bin nur fünf Monate
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