Der große Gatsby (German Edition)
Sie?«, sagte Gatsby höflich. »Ihr Freund Walter Chase war sich auch nicht zu schade, mit einzusteigen.«
»Und Sie haben ihn im Schlamassel sitzenlassen, oder etwa nicht? Sie haben tatenlos zugesehen, als er drüben in New Jersey für einen Monat in den Knast wanderte. Herrgott! Sie müssten mal hören, wie Walter über Sie spricht!«
»Als er zu uns kam, war er völlig abgebrannt. Er war froh, ein bisschen Geld zu verdienen, alter Knabe.«
»Ich verbitte mir Ihr ›alter Knabe‹!«, rief Tom. Gatsby schwieg.
»Walter könnte Sie auch mit den Wettbestimmungen drankriegen, aber Wolfshiem hat ihn so eingeschüchtert, dass er den Mund hält.«
Der fremde und doch wiedererkennbare Ausdruck trat wieder auf Gatsbys Gesicht.
»Das Drugstore-Geschäft war bloß Kleinkram«, fuhr Tom langsam fort, »aber jetzt haben Sie etwas laufen, das Walter mir gar nicht zu erzählen wagt.«
Ich sah, wie Daisy entsetzt zwischen Gatsby und ihrem Mann hin- und herblickte und auch Jordan, die jetzt einen unsichtbaren, doch ihre volle Konzentration fordernden Gegenstand auf der Kinnspitze balancierte, einen Blick zuwarf. Dann schaute ich wieder zu Gatsby und erschrak. Er sah aus – und dies sei mit aller gebotenen Verachtung für das verleumderische Geschwätz in seinem Garten gesagt –, als hätte er »jemanden umgebracht«. Für einen Moment hätte man seinen Gesichtsausdruck in ebendieser irrwitzigen Weise beschreiben können.
Der Moment ging vorüber, und dann redete Gatsby erregt auf Daisy ein, leugnete alles und verteidigte seinen Namen gegen Anschuldigungen, die niemand erhoben hatte. Doch mit jedem seiner Worte zog sie sich weiter in sich zurück, und so gab er es auf, und nur der tote Traum kämpfte weiter, versuchte, während der Nachmittag dahinschwand, zu berühren, was unerreichbar geworden war, und rang unglücklich, unerschütterlich, um jene verlorene Stimme am anderen Ende des Raums.
Die Stimme flehte erneut darum aufzubrechen.
» Bitte, Tom! Ich halte es hier nicht mehr aus.«
Ihr angstvoller Blick bezeugte, dass von allen Absichten, die sie gehabt haben mochte, und auch von ihrem Mut nicht das Geringste mehr übrig war.
»Fahrt ihr beide schon mal vor, Daisy«, sagte Tom. »Mit Mr. Gatsbys Wagen.«
Sie schaute Tom erschrocken an, doch er beharrte mit gönnerhafter Großmut auf seinem Vorschlag.
»Geh nur. Er wird dich in Ruhe lassen. Ich glaube, er hat begriffen, dass sein anmaßender kleiner Flirt vorbei ist.«
Sie waren fort, ohne ein Wort, ausgeknipst, unwichtig geworden und wie Schatten sogar von unserem Mitleid ausgeschlossen.
Nach einer kleinen Weile stand Tom auf und wickelte die ungeöffnete Whiskeyflasche in das Tuch.
»Wollt Ihr einen Schluck? Jordan?… Nick?«
Ich antwortete nicht.
»Nick?«, fragte er noch einmal.
»Was?«
»Willst du einen Schluck?«
»Nein… Mir ist gerade eingefallen, dass ich heute Geburtstag habe.«
Ich war dreißig. Vor mir erstreckte sich der unheilvolle, bedrohliche Weg in ein neues Jahrzehnt.
Gegen sieben setzten wir uns in das Coupé und fuhren gen Long Island. Tom redete in einem fort, ausgelassen und voller Übermut, doch sein Geplapper war Jordan und mir so fern wie das fremde Stimmengewirr auf den Gehwegen oder der Krach der Hochbahn über unseren Köpfen. Menschliches Mitgefühl hat seine Grenzen, und wir waren nicht unglücklich, als ihre tragische Auseinandersetzung mit den Lichtern der Stadt hinter uns verblasste. Dreißig – das verhieß ein Jahrzehnt der Einsamkeit, weniger ungebundene Männer in der Bekanntschaft, weniger Vorräte an Begeisterungsfähigkeit, weniger Haare auf dem Kopf. Doch da war Jordan neben mir, die, anders als Daisy, zu klug war, um wohlvergessene Träume von einem Lebensalter ins andere mitzuschleppen. Auf der dunklen Brücke sank ihr fahles Gesicht müde an meine Schulter, und der sagenhafte Schreck, der mich angesichts der Dreißig befallen hatte, erstarb unter dem tröstlichen Druck ihrer Hand.
So fuhren wir durch das kühler werdende Zwielicht weiter auf den Tod zu.
Der junge Grieche Michaelis, der den Imbiss am Fuß der Aschehügel betrieb, war Hauptzeuge bei der gerichtlichen Untersuchung. Er hatte während der größten Hitze, bis kurz nach fünf, geschlafen und war dann zur Werkstatt hinübergeschlendert, wo er George Wilson krank in seinem Büro antraf – richtig krank, bleich wie sein bleiches Haar und am ganzen Leib zitternd. Michaelis riet ihm, sich ins Bett zu legen, doch Wilson weigerte sich; er
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