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Der große Gatsby (German Edition)

Der große Gatsby (German Edition)

Titel: Der große Gatsby (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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weniger als einer Stunde etwas Ähnliches entdeckt hatte – und dachte bei mir, dass kein Unterschied zwischen den Menschen, gleich welcher Herkunft oder Intelligenz, so groß ist wie der Unterschied zwischen den Kranken und den Gesunden. Wilson war sehr krank, ja er sah aus, als hätte er Schuld auf sich geladen, unverzeihliche Schuld – hätte zum Beispiel ein armes Mädchen mit einem Kind sitzenlassen.
    »Sie können den Wagen haben«, sagte Tom. »Ich lasse ihn morgen Nachmittag zu Ihnen bringen.«
    Der Ort hatte immer etwas leicht Beunruhigendes, selbst am helllichten Nachmittag, und jetzt wandte ich wie auf eine Warnung hin den Kopf. Über den Aschehügeln hielten die gigantischen Augen von Doktor T. J. Eckleburg Wache, doch kurz darauf bemerkte ich, dass uns nicht mehr als sieben Meter entfernt ein anderes Augenpaar mit sonderbarer Intensität beobachtete.
    In einem Fenster über der Werkstatt waren die Gardinen ein wenig beiseite geschoben, und Myrtle Wilson spähte auf den Wagen herab. Gebannt, wie sie war, bekam sie gar nicht mit, dass sie selber gesehen wurde, und die Gefühle stahlen sich eins nach dem anderen in ihr Gesicht wie Gegenstände in ein sich langsam entwickelndes Foto. Ihr Ausdruck war seltsam vertraut – es war ein Ausdruck, wie ich ihn auf Frauengesichtern schon oft gesehen hatte, doch auf Myrtle Wilsons Gesicht schien er grundlos und unerklärlich, bis ich erkannte, dass ihre vor eifersüchtigem Entsetzen geweiteten Augen nicht Tom, sondern Jordan Baker fixierten, die sie für seine Frau hielt.
    Keine Verwirrung gleicht derjenigen eines schlichten Gemüts, und als wir davonfuhren, verspürte Tom die heißen Peitschenhiebe der Panik. Seine Frau und seine Geliebte, bis vor einer Stunde noch in Sicherheit und unversehrt, entglitten jäh seiner Kontrolle. In der zweifachen Absicht, Daisy einzuholen und Wilson hinter sich zu lassen, trat er instinktiv aufs Gaspedal, und wir rasten mit achtzig Stundenkilometern gen Astoria, bis wir zwischen den spinnenartigen Streben der Hochbahn das gemächlich dahingleitende blaue Coupé entdeckten.
    »In den großen Kinos um die fünfzigste Straße herum ist es kühl«, schlug Jordan vor. »Ich liebe New York an den Sommernachmittagen, wenn alle ausgeflogen sind. Es ist dann so sinnlich – überreif, als würden dir im nächsten Moment alle möglichen komischen Früchte in die Hände fallen.«
    Das Wort »sinnlich« versetzte Tom in noch größere Unruhe, doch bevor er sich einen Einwand ausdenken konnte, bremste das Coupé ab, und Daisy gab uns ein Zeichen, wir sollten neben ihnen halten.
    »Wo wollen wir hin?«, rief sie.
    »Wie wär’s, wenn wir ins Kino gingen?«
    »Es ist so heiß«, jammerte sie. »Geht ihr nur. Wir fahren ein wenig spazieren und treffen uns später.« Matt regte sich ihr Witz: »Wir treffen uns an irgendeiner Ecke. Ich bin der Mann mit den zwei Zigaretten im Mundwinkel.«
    »Hier können wir das nicht diskutieren«, sagte Tom mürrisch, als hinter uns die Hupe eines Lastwagens einen lauten Fluch ausstieß. »Fahren wir zum Plaza auf der Südseite des Central Park.«
    Er drehte sich mehrmals um und schaute nach ihrem Wagen, und wenn der Verkehr sie aufhielt, bremste er ab, bis sie wieder in Sicht kamen. Ich glaube, er hatte Angst, sie würden mit quietschenden Reifen in eine Seitenstraße einbiegen und für immer aus seinem Leben verschwinden.
    Aber das taten sie nicht. Und alle zusammen fassten wir den weniger einleuchtenden Entschluss, uns den Salon einer Suite im Plaza Hotel zu nehmen.
    An die ziemlich lange und turbulente Diskussion, die damit endete, dass wir uns alle in besagtem Raum eingepfercht fanden, entsinne ich mich nicht, aber ich habe eine geradezu physische Erinnerung daran, wie meine Unterhose mir wie eine feuchte Schlange die Beine hinaufkroch und mir dann und wann Schweißperlen kühl den Rücken hinunterrannen. Es begann alles damit, dass Daisy meinte, wir sollten uns fünf Badezimmer für kalte Bäder nehmen, ein Vorschlag, der schließlich in etwas praktikablerer Form – »einen Ort, an dem wir Mint Julep trinken können« – in die Tat umgesetzt wurde. Jeder von uns sagte wieder und wieder, das sei ja eine »verrückte Idee« – wir redeten alle gleichzeitig auf einen verdutzten Hotelangestellten ein und hielten uns für unglaublich witzig oder taten zumindest so…
    Das Zimmer war groß und stickig, und obwohl es schon vier Uhr war, kam beim Öffnen der Fenster nur ein Luftschwall aus den heißen

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