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Der grosse Horizont

Der grosse Horizont

Titel: Der grosse Horizont Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Roth
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fühlte Haid den Körper Murphys an seiner Seite. Er war eingeschlafen und zu ihm herübergerutscht. Sein grüner Hut war ihm vom Kopf gefallen auf den schmalen Platz vor der rückwärtigen Scheibe und schaukelte dort. Haid empfand auf einmal Mitleid mit Murphy, und er ließ ihn auf der Fahrt durch den nachtdunklen Centralpark an seine Schulter gelehnt schlafen, als könne er ihm damit alles Elend nehmen, das je über ihn gekommen war.
     
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    Als Haid Murphy am Broadway wachrüttelte, war er voll brüderlicher Gefühle. Er bildete sich ein, ihn vor O’Maley in Schutz nehmen zu müssen. Murphy entschuldigte sich und übergab sich auf der Fahrbahn, als wolle er sie mit seinem Erbrechen in Besitz nehmen. Die Luft war kühl und Haid fühlte sich jetzt als jemand anderer. Er berührte seinen Hals, um sich zu vergewissern, daß er es selbst war, aber der Schwebezustand hielt an. Als er sich umblickte, stellte er fest, daß sie sich vor einem 25-Cent-Pornokino befanden. Vor dem Eingang saß eine fette Hure mit blondgefärbten Haaren und einem schwarzen Pelzmantel. O’Maley stand vor ihr und machte den Eindruck, als wolle er sie von ihrem Sessel treten. Haid dachte sich, daß er sich in O’Maley nicht getäuscht hatte. Er wartete jeden Augenblick darauf, daß O’Maley der Hure einen Tritt verpassen würde. Er mußte sich eingestehen, daß er nicht nur Abscheu bei der Vorstellung empfand. O’Maley würde über die fette Hure herfallen und sie verprügeln. War es nicht merkwürdig, daß er sich von der Erwartung einer Gewalttätigkeit einnehmen ließ? Haid dachte im selben Moment an den Neger im gelben Sakko und verzieh ihm. Er starrte noch immer gebannt auf O’Maley und folgte ihm jetzt in das Kino. O’Maley musterte das Paar an der Kasse, als ob es sich um eine Razzia handelte. Der Mann: dick, schwarzhaarig, mit buntem Hemd, und die Frau: ebenso fett, mit blaulackierten Fingernägeln, zählten teilnahmslos einen großen Haufen 25-Cent-Münzen. Aber sofort, nachdem er das Kino betreten hatte, war Haids Faszination für O’Maley verschwunden. Er begriff jählings die Pose, die O’Maley einnahm: Er kaute, ohne einen Kaugummi im Mund zu haben. Es war ein billiger Trick, die Backenmuskulatur arbeiten zu lassen und ein ernstes Gesicht zu machen. Zwar hatte Haid jetzt einen deutlicheren Eindruck seiner eigenen Schwäche, aber seine Wehrlosigkeit gab ihm gleichzeitig einen klaren Blick. Er betrachtete den Versuch, O’Maley in Gefahr zu bringen, als gescheitert. Abrupt ging er auf die Straße zurück. Das Jetzt zu empfinden und sich ihm hingeben zu können, kam ihm oft wie eine Erlösung vor. Gleichzeitig war es aber auch sein Betäubungsmittel. Er betäubte sich damit, alles zu sehen und in sich aufzunehmen, aber es kam ihm nun vor, als sei ihm dies nie gelungen. Er hatte immer eine Distanz gefühlt, so als ginge ihn nichts direkt an und ein wenig auch so, als betrachte er das, was er sah, als nicht wirklich. Ihm war, als hätte er die Verpflichtung gefühlt, Abstand zu wahren und seinen Eindrücken zu mißtrauen, ja, als sei er sich stets Mißtrauen schuldig gewesen, um einen klaren Kopf zu behalten.
     
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    Er wartete ruhig auf O’Maley, und als O’Maley in der 8 th Avenue die erstbeste weiße Frau, die ihm begegnete, ansprach, trat Haid neugierig näher. Die Frau trug ein tief dekolletiertes Abendkleid und blickte durch O’Maley hindurch. Sie sprach mit ihm, als ginge sie die Angelegenheit nichts an, als sei ihr Körper etwas, das sie nicht mehr empfand und nur noch benötigte, um damit auszudrücken, daß sie lebte. Alles an ihr drückte Hoffnungslosigkeit aus. Ihre Resignation mußte vollends sein, denn sie ließ kein Zeichen von Nervosität oder Ehrgeiz erkennen, und Haid, den ihr Anblick auf seinen eigenen Ehrgeiz aufmerksam machte, spürte so etwas wie Scham. Er wußte, daß er zynisch würde sein können, aber er würde keine Genugtuung darüber empfinden, zynisch zu sein, und er wollte auch nicht mit Zynismus auf seine Unsicherheit reagieren. Ein junger Bursche tauchte aus dem Nichts auf, einen roten Plastiksack mit Lebensmitteln in der Hand, klein, blaß, mit kurzgeschnittenen Haaren, er hinkte heran, blieb stumm neben der Frau stehen und hörte unaufgefordert zu. Als O’Maley mit der Frau in einem schmierigen, verwahrlosten Massagesalon verschwand, blieb der Bursche davor stehen und glotzte blöde auf das Haus, dessen Verputz sich in großen Flecken von den Ziegeln gelöst hatte, wobei

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