Der grosse Horizont
Traumbilder ab. Er hatte die Idee, den Traum aufzuschreiben und verlangte Bleistift und Papier, schrieb jedoch nichts, legte den Bleistift auf das Papier und ließ die Mappe nach der Landung in New York auf seinem Sitz liegen.
3
Aus Freude über die erste Begegnung auf dem Flughafen fragte Haid eine uniformierte Negerin grundlos nach den Telefonzellen im Ankunftsgebäude. Die Negerin öffnete den Mund, und Haid sah eine unförmige Regulierung aus Draht, die an den Zähnen des Unterkiefers befestigt war … Vor dem Flughafen stieg Haid in eine Limousine (ein zwölfsitziges Fahrzeug, dessen Vordertüre klemmte). Hinter dem Lenkrad saß ein fetter, häßlicher Zwerg mit Schirmmütze. Die Lenkradhupe war ausmontiert, so daß Haid nur noch die Drähte sah. Auch die Deckleuchten hatten weder Schutzgläser noch Glühbirnen. Während Haid zwischen den Backsteinbauten durch dichten Verkehr fuhr, hatte er den Eindruck, sich selbst in einem Kriminalfilm zu sehen. Er dachte an Philipp Marlowe, der in seinem schmutzigen Büro saß, und dem die Farben der Kleidungsstücke, eines Haus Verputzes, der Haare, eines Rasens wie eine leuchtende Vision erschienen. Marlowe erlebte jeden Augenblick wie eine Neuentdeckung, als wüßte er von den Dingen nur das Aussehen und den Namen und nicht die Funktion, als müßte er sich jederzeit vorsehen, daß ein Stuhl kein Stuhl ist. Haid kannte diesen Zustand, in den ihn zeitweilig eine unberechenbare Stimmung brachte. Wie oft hatte er einen Kühlschrank, ein Klavier als etwas Fremdes empfunden, so als sagte ihm KLAVIER oder K ÜHLSCHRANK nichts. Wie oft aber war er andererseits am Morgen erwacht und alles war ihm angenehm vertraut gewesen: ein Strauß Veilchen auf dem Schreibtisch, die weißen Gardinen, hell vom Licht eines schönen Morgens, das Zwitschern eines Vogels. Er war in das Badezimmer gegangen, hatte sich gepflegt, das Gefühl der Kälte, das die weizenfarbenen Kacheln ausgestrahlt hatten, genossen, hatte Fruchtsaft getrunken, sich die Haare naß gekämmt und gefühlt, wie sie trockneten. An solchen Tagen erschien ihm alles vertraut und selbstverständlich. Der Griff zur Wasserleitung, das Zähneputzen, ein frischgewaschenes Hemd am Körper, die Toilettfläschchen seiner Frau unter dem Spiegel, die eingeworfene Zeitung unter dem Briefschlitz. Ein angenehmes Gefühl entstand in ihm, wie er es beim Lesen von Stifter empfand, als sei er eine Pflanze mit feinen Kapillaren, und jede dieser Kapillaren fühlte er als wohltuenden Kitzel. Ein Buick glitt an ihnen vorbei und Haid erkannte, daß auf dem Schoß des Fahrers eine Farbige saß, die sich rhythmisch bewegte. Jetzt sah Haid, daß auch der Fahrer farbig war und daß er mit der Frau auf seinem Schoß koitierte. Er trug ein kariertes Sakko, während die Frau ein rosarotes Kleid mit blauen Tupfen trug. Der Buick fuhr langsam und mit demonstrativem Stolz vorbei. Haid sah nur noch das Stopplicht und verlor den Wagen wenig später aus den Augen. Automatisch erinnerte er sich an einen Sonntagabend im Mai. Er war von einem Ausflug aufs Land zurückgekommen, voll Melancholie wegen des bevorstehenden Wochenbeginns. In einem Gasthaus hatte er mit seiner Frau Weißwein getrunken, dann hatten sie von weitem einem Fischer zugesehen, der Forellen und Äschen unterhalb eines Wehrs gefangen hatte. Als Haid in die Wohnung zurückgekehrt war, hatte ihn sein Heuschnupfen gepackt, an dem er im Frühsommer immer litt, und er war niesend in das Arbeitszimmer geflohen, denn seine Frau haßte es, wenn das Niesen kein Ende nahm. Er hatte die blaue Pillenschachtel gesucht und eine der winzigen Tabletten gegen Allergie geschluckt. Nachdem die Reizung abgeklungen war, war er in die Küche gegangen, mit geschwollenen Augen und roten Augäpfeln, um etwas zu essen. Vor dem ungedeckten Tisch war seine Frau gesessen, hatte ihn feindselig angestarrt, war dann plötzlich aufgestanden und davongelaufen. Haid war ihr nachgegangen, in die Dunkelheit des Schlafzimmers, in dem sie ihm – ohne ihn anzusehen – gestand, daß sie ihn seit Wochen mit einem Rechtsanwalt betrog. Haid hatte sich tief gedemütigt im Vorzimmer wiedergefunden, mit rinnender Nase, ein Idiot, der nichts bemerkt hatte und der dagegen ankämpfen mußte, daß seine Phantasie ihm nicht Bilder vorführte, die seine Frau voll Wollust in den Armen eines fremden Mannes zeigten. Er riß sich von seinen Erinnerungen los und starrte auf die kegelförmigen Warnsäulen in der Mitte der Fahrbahn. Aus
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