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Der große Schlaf

Der große Schlaf

Titel: Der große Schlaf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Chandler
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derb und bisweilen vulgär, aber er war sehr real.
    Und er hat Dad eine Menge Spaß gemacht. Rusty hätte so nicht verschwinden dürfen. Das hat Dad sehr mitgenommen, wenn er es auch nie zugeben würde. Oder hat er?«
    »Er hat so was erwähnt.«
    »Sie sind kein sehr großer Redner, stimmtś, Mr. Marlowe?
    Jedenfalls läßt er ihn suchen, oder nicht?«
    Ich starrte sie ein Weilchen höflich an. »Ja und nein«, sagte ich.
    »Das ist keine Antwort. Glauben Sie, daß Sie ihn finden können?«
    »Ich habe nicht behauptet, daß ich das vorhabe. Warum versuchen Sieś nicht mal mit einer Vermißtenmeldung? Die Polizei verfügt über eine große Organisation. Das ist kein Ein-Mann-Job.«
    »Ach, Dad hätte es nicht gern, wenn die Polizei eingeschaltet würde.« Sie sah mich wieder unschuldig über ihr Glas weg an, trank es aus und drückte auf eine Klingel. Ein Dienstmädchen trat durch eine Seitentür ins Zimmer. Es war eine Frau mittleren Alters mit einem langen, gelben, freundlichen Gesicht, einer langen Nase, großen, feuchten Augen, ohne Kinn. Sie sah aus wie ein lieber, alter Ackergaul, der nach mühseligem Dasein hinaus auf die Weide darf. Mrs. Regan winkte ihr mit dem leeren Glas, und sie mixte einen neuen Drink, reichte ihn ihr und verließ den Raum ohne ein Wort, ohne einen Blick zu mir herüber.
    Als sich die Tür schloß, sagte Mrs. Regan: »Also, was gedenken Sie jetzt zu tun?«
    »Wie und wann ist er abgehauen?«
    »Hat Dad Ihnen das nicht erzählt?«
    Ich neigte den Kopf zur Seite und grinste sie an. Sie wurde rot. Ihre heißen, schwarzen Augen waren voller Wut. »Ich wüßte nicht, was es da zu verbergen gäbe«, fauchte sie. »Und Ihre Manieren passen mir auch nicht.«
    »Auf Ihre bin ich auch nicht scharf«, sagte ich. »Schließlich habe ich Sie nicht sprechen wollen. Sie haben nach mir geschickt. Von mir aus können Sie die feine Dame markieren oder aus einer Whiskypulle frühstücken. Sie dürfen mir auch gern Ihre Beine zeigen. Es sind prima Beine, und es ist mir ein Vergnügen, ihre Bekanntschaft zu machen. Sie können meine Manieren kritisieren. Sie sind ja auch schlecht. Ich habe an langen Winterabenden schon manche Träne darüber vergossen.
    Aber versuchen Sie nicht, mich ins Kreuzverhör zu nehmen.«
    Sie knallte ihr Glas so hart hin, daß es auf ein elfenbeinfarbenes Kissen überschwappte. Sie schwang ihre Beine herum und stand mit feuersprühenden Augen und geblähten Nüstern vor mir. Ihr Mund war geöffnet, und ihre strahlenden Zähne blitzten mich an. Ihre Fingerknöchel waren weiß. »So spricht man nicht mit mir«, sagte sie heiser.
    Ich blieb sitzen und grinste sie an. Sehr langsam schloß sie den Mund und sah auf den vergossenen Schnaps herab. Sie setzte sich auf den Rand der Chaiselongue und stützte ihr Kinn in die Hand.
    »Gott, sind Sie ein großer, hübscher, brutaler Kerl! Man sollte Ihnen einen Buick an den Kopf werfen.«
    Ich ratschte mir ein Streichholz über den Daumennagel und bekam es tatsächlich an. Ich paffte Rauchwolken in die Luft und wartete.
    »Ich finde anmaßende Männer widerlich«, sagte sie. »Sie widern mich an.«
    »Wovor haben Sie eigentlich Angst, Mrs. Regan?«
    Ihre Augen wurden weiß. Dann verdunkelten sie sich, bis sie nur noch Pupille schienen. Ihre Nüstern wurden schmal. »Er hat von Ihnen etwas anderes gewollt«, sagte sie mit verkrampfter Stimme, in der noch immer ein Häppchen Wut mitklang. »Wegen Rusty. Stimmtś?«
    »Fragen Sie ihn doch selbst.«
    Sie flammte wieder auf. »Raus! Raus mit Ihnen, verdammt noch mal!«
    Ich stand auf. »Setzen Sie sich!« fuhr sie mich an.
    Ich setzte mich. Ich schnippte mit dem Finger und wartete.
    »Bitte«, sagte sie. »Bitte. Sie könnten Rusty doch finden –
    wenn Dad Sie darum bäte.«
    Auch das zog bei mir nicht. Ich nickte und fragte: »Wann ist er denn verschwunden?«
    »Vor vier Wochen an einem Nachmittag. Er fuhr einfach mit seinem Wagen weg, ohne ein Wort zu sagen. Sie haben den Wagen dann irgendwo in einer privaten Garage gefunden.«
    »Wer sie?«
    Jetzt merkte sie etwas. Ihr ganzer Körper schien sich zu entspannen. »Er hat Ihnen also nichts erzählt.« Ihre Stimme klang fast heiter, so als ob sie mich angeschmiert hätte. Vielleicht hatte sie das auch.
    »Er hat mir von Mr. Regan erzählt, ja. Deshalb hat er mich aber nicht kommen lassen. Ist es das, was Sie so gern von mir wissen wollen?«
    »Ich will überhaupt nichts von Ihnen wissen.«
    Ich stand wieder auf. »Dann kann ich ja abzischen.«
    Sie

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