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Der große Schlaf

Der große Schlaf

Titel: Der große Schlaf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Chandler
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eine Frau hinter einem kleinen Schreibtisch mit einem holzgeschnitzten Leuchter darauf.
    Sie stand langsam auf und kurvte mir in einem knappen, schwarzen, glanzlosen Kleid entgegen. Sie hatte lange Schenkel und bewegte sich mit dem gewissen Etwas, das ich in Buchläden nicht oft erlebt habe. Sie war aschblond mit grünlichen Augen, getuschten Wimpern und leicht gewelltem Haar, das ihre Ohren frei ließ, in denen große Jettclips glitzerten. Ihre Nägel waren silbern lackiert. Trotz ihrer Aufmachung sah sie nach Absteige aus.
    Sie näherte sich mir mit genug Sex-Appeal, um eine ganze Aufsichtsratssitzung zu sprengen, und neigte den Kopf, um eine lockere, aber nicht sehr lockere Welle weich glänzenden Haars zu richten. Ihr Lächeln war verführerisch, konnte aber auch noch als freundlich hingehen. »Was darf es sein?«
    erkundigte sie sich.
    Ich hatte meine Sonnenbrille mit dem Horngestell auf. Ich ging mit der Stimme hoch und legte einen kleinen Zwitscherer hinein. »Hätten Sie wohl einen ›Ben Hur‹ von 1860?«
    Sie sagte nicht »Hä?«, obwohl sie es gern getan hätte. Sie lächelte dämlich. »Eine Erstausgabe?«
    »Dritte«, sagte ich. »Die mit dem Druckfehler auf Seite 116.«
    »Leider nicht – im Moment.«
    »Und einen ›Chevalier Aubudon‹ von 1840 – die
    Gesamtausgabe, versteht sich?«
    »Eh – im Moment nicht«, sagte sie schroff. Das Lächeln hing ihr nun an den Zähnen und Brauen und überlegte noch, wie es am besten runterfallen sollte.
    »Sie verkaufen doch Bücher?« fragte ich in meinem höflichen Falsett. Sie sah mich von oben bis unten an. Kein Lächeln mehr. Außen kühl bis eisig. Haltung sehr gerade und steif. Sie wedelte mit silbernen Fingernägeln zu den Bücherschränken hinüber. »Für was halten Sie das –
    Pampelmusen?« fragte sie bissig.
    »Ach, wissen Sie, solche Dinge interessieren mich kaum.
    Sicherlich mit Stahlstichkopien, farbig zu zwei, einfach zu einem Penny. Der übliche Schund. Nein. Tut mir leid. Nein.«
    »Ich verstehe.« Sie versuchte sich das Lächeln wieder ins Gesicht zu hieven. Sie war sauer wie ein Stadtrat mit Mumps.
    »Vielleicht kann Mr. Geiger – aber er ist im Moment nicht hier.« Ihre Augen studierten mich sorgfältig. Sie wußte über seltene Bücher so viel wie ich über das Leben im Flohzirkus.
    »Vielleicht ist er später da?«
    »Ich fürchte, das wird spät werden.«
    »Zu dumm«, sagte ich. »Ah, zu dumm. Dann will ich mich mal in so einen schnuckeligen Sessel werfen und eine Zigarette rauchen. Ich habe nicht viel vor heute nachmittag, außer meiner Trigonometriestunde.«
    »Ja«, sagte sie. »J-aa, natürlich.«
    Ich ließ mich nieder und zündete mir mit dem runden Nickelfeuerzeug vom Aschbecherständer eine Zigarette an. Sie stand noch immer da, die Unterlippe zwischen den Zähnen, und guckte verstört. Schließlich nickte sie, wandte sich langsam um und ging zurück zu ihrem kleinen Schreibtisch in der Ecke. Hinter der Lampe starrte sie zu mir herüber. Ich streckte die Beine aus und gähnte. Ihre Silbernägel wanderten über den Schreibtisch in Richtung Telefon, rührten es aber nicht an, sondern sanken herab und begannen auf die Tischplatte zu trommeln.
    An die fünf Minuten Stille. Die Tür ging auf, und ein großer, halbverhungerter Vogel kam mit einem Stöckchen und einer großen Nase hereinspaziert, drückte die Tür hinter sich ins Schloß, marschierte zum Schreibtisch und legte ein eingewickeltes Päckchen darauf. Er zog eine Brieftasche aus Seehundsleder mit Goldecken hervor und zeigte der Blonden etwas. Sie drückte auf einen Knopf auf dem Schreibtisch. Der große Vogel ging zur Tür in der hölzernen Trennwand und machte sie gerade so weit auf, daß er sich durchzwängen konnte. Ich rauchte meine Zigarette zu Ende und steckte mir eine neue an. Die Minuten schleppten sich dahin. Auf dem Boulevard draußen tuteten und quäkten Hupen. Ein großer roter Intercity-Bus rauschte vorüber. Ein Verkehrssignal klingelte. Die Blonde stützte sich auf die Ellbogen und starrte hinter vorgehaltener Hand zu mir her. Die Tür in der Trennwand ging auf, und heraus schlüpfte der große Vogel mit dem Stöckdien. Er hatte ein anderes eingewickeltes Päckchen in der Größe eines dicken Buches. Er ging damit zum Schreibtisch hin und zahlte Geld. Dann verschwand er, wie er gekommen war, über den großen Onkel gehend, mit offenem Mund atmend und einem scharfen Seitenblick zu mir hin.
    Ich sprang auf, tippte zur Blonden hin an den Hut und ging ihm nach.

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