Der gruene Heinrich [Erste Fassung]
den Augen der Spötter, doch Anna hatte gerade solche Grobheit Nicht verdient, da sie mich nicht verspottet und ganz still neben mir gesessen hatte.
Sie wurde über und über rot, Ich fühlte augenblicklich mein Unrecht und hätte aus Reue gern den Knochen verschlungen. Verlegen legte ich ihn auf meinen Teller und fügte noch ein paar schlechte Witze hinzu. »Diese Reliquie«, sagte ich, »würde allerdings ein artiger Sparren im Kopfe sein! Indessen mag es manchen Heiligen geben, dessen christliche Ideen einem Schinkenknochen gleichen.« Hierauf antwortete niemand etwas außer meinem Oheim, welcher mich ernstlich ersucht haben wollte, dergleichen Mitteilungen zu unterlassen.
Das Rotwerden war nun an mir, und ich sagte nichts mehr während der übrigen Zeit, die man am Tische zubrachte. Ich zog mich zurück in bitterm Unmute und gedachte mich nicht mehr sehen zu lassen, bis meine Bäschen mich aufsuchten und mich aufforderten, mit ihnen und ihren Brüdern Anna nach Hause zu begleiten und den Schulmeister zu besuchen. Da Ich durch den seltenen Verweis des Vaters in eine beschämende Lage geraten, so fanden sie es angemessen, mich durch diese Freundlichkeit daraus zu ziehen; denn sie wußten wohl, daß ich sonst nach der Etikette jenes Alters nicht mitkommen konnte, wo das Schmollen eine Ehrensache und an bestimmte Gesetze gebunden ist.
Wir zogen also aus und gingen dem Flüßchen nach durch den Wald. Ich blieb still, und als wir, durch die Enge des Weges getrennt, hintereinander gehen mußten, marschierte ich als der letzte hintendrein, dicht nach Anna, aber immer in tiefem Schweigen. Meine Augen hingen mit Andacht und Liebe an ihrer Gestalt, immer bereit, sich abzuwenden, sobald sie zurückschauen würde.
Doch tat sie dies nicht ein einziges Mal; hingegen bildete ich mir mit innerlichem Vergnügen ein, daß sie hie und da mit einer kaum sichtbaren Absicht, zu gefallen, sich über schwierige Stellen hinbewegte. Ich machte ein paarmal schüchterne Anstalten, ihr behilflich zu sein, allein immer kam sie meinen Händen zuvor. Da stand an einer erhöhten Stelle des Weges die schöne Judith unter einer dunklen Tanne, deren Stamm wie eine Säule von grauem Marmor emporstieg. Ich hatte sie lange nicht mehr gesehen; sie schien mit der Zeit noch immer schöner zu werden und hatte die Arme übereinandergeschlagen, eine Rosenknospe im Munde, mit welcher ihre Lippen nachlässig spielten. Sie grüßte eines um das andere, ohne sich in ein Gespräch einzulassen, und als ich schließlich auch an die Reihe kam, nickte sie mir leicht zu mit einem etwas spöttischen Lächeln.
Der Schulmeister begrüßte uns mit Freuden und vor allen seine Tochter, die er sehnlich zurückerwartet. Denn sie war nun die Erfüllung seines Ideales geworden, schön, fein, gebildet und von andächtigem, edlem Gemüte, und mit dem bescheidenen Rauschen ihres Seidenkleides war, nicht in schlimmem Sinne, eine neue schöne Welt für ihn aufgegangen. Er hatte zu seinem bisherigen Vermögen noch eine gute Erbschaft gemacht und benutzte diese, ohne Vornehmtuerei, sich mit allerhand anständigen Annehmlichkeiten zu umgeben. Was seine Tochter nach den aus Welschland mitgebrachten Bedürfnissen irgend wünschen konnte, schaffte er augenblicklich an und unter diesem Vorwande überdies eine Menge schöner Bücher für seine eigenen Wünsche. Auch hatte er seinen grauen Frack mit einem feinen schwarzen Leibrock vertauscht, wenn er ausging, und im Hause trug er einen ehrbaren talarartigen Schlafrock, um mehr das Ansehen eines würdigen, halbgeistlichen Privatgelehrten zu gewinnen. Was irgend mit einer Stickerei geziert werden konnte an seiner Person oder an seinem Geräte, das zeigte diesen Schmuck in allen Manieren und Farben, da ihm solcher ausnehmend gefiel und Anna reichlich dafür sorgte. In dem kleinen Orgelsaale stand nun ein prächtiges Sofa mit buntgestickten Kissen, und vor demselben lag ein großblumiger Teppich von Annas Hand. Diese reiche Farbenpracht, an einer Stelle zusammengehäuft, nahm sich vortrefflich und eigentümlich aus im Gegensatze zu dem einfachen weißgetünchten Saale. Nur die Orgel bot noch einigen Schmuck in glänzenden Pfeifen und mit ihren bemalten Türchen. Anna erschien nun in einem weißen Kleide und setzte sich an die Orgel. Sie hatte in der Pension Klavier spielen müssen, lehnte es aber ab, ein Klavier zu haben, als ihr Vater sogleich ein solches anschaffen wollte; denn sie war zu klug und zu stolz, die gewöhnliche Klimperei
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