Der gruene Heinrich [Erste Fassung]
»Larifari! ihr seid alle verlogene Schelme und der Maler ein recht böser Hauptlügner!« Lachend und flüsternd unterhielten sie sieh hierauf mit den anderen beiden Mädchen, die nicht recht wußten, woran sie waren, und alle würdigten uns keines Blickes mehr. So hatte ich das Geheimnis, das Ich am Morgen großmütig zu verschweigen gelobt, noch vor Untergang der Sonne ausgeplaudert. Dadurch, war der Krieg zwischen mir und den Schönen erklärt, und ich sah mich plötzlich himmelweit von dem Ziele meiner Hoffnungen gerückt; denn Ich dachte mir alle Mädchen als eng verbündet und gleichsam eine Person, mit welcher man im ganzen gut stehen müsse, wenn man ein Teilchen gewinnen wolle.
Siebentes Kapitel
Um diese Zeit wurde der zweite Lehrer des Dorfes versetzt, und an seine Stelle kam ein blutjunges Schulmeisterlein von kaum siebzehn Jahren, welches bald ein Original in der Gegend wurde. Es war ein wunderhübsches Bürschchen mit rosenroten Wänglein, einem kleinen lieblichen Munde, mit einem kleinen Stumpfnäschen, blauen Augen und blonden gelockten Haaren. Er nannte sich selbst einen Philosophen, weshalb ihm dieser Name allgemein zuteil wurde, denn sein Wesen und Treiben war in allen Stücken absonderlich. Mit einem vortrefflichen Gedächtnisse begabt, hatte er die zu seinem Berufe gehörigen Kenntnisse bald erworben und sich im Seminare daher mit dem Studium von allen möglichen Philosophien abgegeben, welche er der Reihe nach auswendig lernte; der Direktor dieser Anstalt war ein Mann, welcher seinen Zöglingen, obgleich sie nur Volkslehrer werden sollten, gern zum allgemeinsten Wissen verhalf, wenn sie sich durch Fleiß die nötige Zeit dazu erwarben. Das hatte freilich zur Folge, daß alle, welche wirklich ein höheres und gründliches Wissen erreichten oder für erreichbar hielten, so bald als möglich der Volksschule Valet sagten und andere Bahnen verfolgten. Dies war indessen nur billig; wenn das Seminar dabei seinen unmittelbaren Zweck verfehlte, so vergab es doch seiner Würde nichts, indem es armen Bauerssöhnen die Welt auftat. Auch behielten diese, wenn sie ansehnliche Gelehrte oder Staatsbeamte wurden, doch immer eine besondere Anhänglichkeit und Liebe für die Volksschule, welcher sie sich anfänglich geweiht hatten, und was dieser oft zu Schutz und Gedeihen gereichte.
Aber es gab auch eine andere Art Wißbegieriger, welche, mehr vom äußern Schein und Hochmut getrieben, vieles erschnappten, ohne Fe den rechten Schlüssel zum wissenschaftlichen Leben zu finden, auch sonst behindert und ohne Talent, Schulmeister bleiben mußten und manchmal tüchtige Lehrer abgaben, wenn sie Eitelkeit und Unzufriedenheit überwunden, manchmal aber auch unnütze Gesellen wurden, welche alle Liebe für ihren Beruf verloren, während sie doch von jedermann die unbedingteste Hochachtung verlangten, ihre Zeit zwischen Dorfintriguen und Kartenspiel teilten oder unausgesetzt um alle Mädchen im Lande sich bewarben, die einige tausend Gulden zu erben hatten. Am liebsten heirateten sie endlich, nach vielen verfehlten Plänen, irgendeine verwitwete Schenkebesitzerin, wo sie alsdann als gelehrte Wirte stattlich figurierten, froh, dem Schulstaube entronnen zu sein.
Zu allen diesen gehörte jedoch der Philosoph nicht. Er behauptete, der beste Volksschulmeister wäre nur derjenige, welcher auf dem höchsten und klarsten Gipfel menschlichen Wissens stände, mit dem umfassenden Blicke über alle Dinge, das Bewußtsein bereichert mit allen Ideen der Welt, zugleich aber in Demut und Einfalt, in ewiger Kindlichkeit wandelnd unter den Kleinen, womöglichst mit den Kleinsten. Demgemäß lebte er wirklich, aber dies Leben war seiner großen Jugend wegen eine allerliebste Travestie in Miniatur. Gleich einem Stare wußte er alle Systeme von Thales bis auf heute herzusagen, allein er verstand sie immer im wörtlichsten und sinnlichsten Sinn, wobei besonders seine Auffassung der Gleichnisse und Bilder einen komischen Unfug hervorbrachte. Wenn er von Spinoza sprach, so war ihm nicht etwa die Idee aller möglichen Stühle der Welt, als ein Stück zweckmäßig gebrauchter Materie, der Modus, sondern der einzelne Stuhl, der gerade vor ihm stand, war ihm der fertige und vollständige Modus, in welchem die göttliche Substanz in wirklichster Gegenwart steckte, und der Stuhl wurde dadurch geheiligt. Bei Leibniz fiel ihm nicht etwa die Welt in einem greulichen Monadenstaub auseinander, sondern die Kaffeekanne auf dem Tisch, mit welcher er
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