Der gruene Heinrich [Erste Fassung]
je übler er von ihren Zungen und Händen zugerichtet wurde, wenn er ihnen weiberschmähende Aussprüche aus der Bibel und weltliche Argumente an den Kopf warf. Ich hingegen räumte das Feld, wenn mir die Sache zu arg wurde, oder ich stellte mich, als ob ich nicht ungeneigt wäre, mich belehren und bekehren zu lassen. Wenn ich vollends mit einem der Mädchen ganz allein war, so wurde stets ein Waffenstillstand geschlossen, und ich war immer halb bereit, unsere Sache zu verraten und mich unter den Schutz des Feindes zu stellen. Jedoch muß ich diese Neigung schlecht zu äußern gewußt haben, denn niemals schien man sie zu bemerken, und ich mußte zufrieden sein, sonst ein vernünftiges Wort zu wechseln. Ich wünschte durch diesen gemäßigten und freundlichen Verkehr allmählich dahin zu gelangen, auch mit Anna wieder im einzelnen und allein zu sprechen, und glaubte dies törichterweise immer am besten auf weitläufigem Wege zu bewerkstelligen, indem ich mich an die anderen hielt, statt Anna einfach einmal bei der Hand zu nehmen und anzureden. Allein dies letztere schien mir eben noch himmelweit zu liegen und eine reine Unmöglichkeit; lieber hätte ich einen Drachen geküßt, als so leichtsinnig die Schranke gebrochen, obgleich es vielleicht nur an diesem Drachenkuß, an diesem ersten Worte hing, die schöne Jungfrau Vertraulichkeit aus der Verzauberung wiederzugewinnen. Allein wer konnte wissen! Ein Sperling in der Hand ist besser als ein Adler auf dem Dache! Lieber noch dies stumme Nahsein sicher behalten, als durch die beleidigte Ehre genötigt zu sein, auf immer zu scheiden! Dadurch ward ich immer mehr und mehr verhärtet, und zuletzt ward es mir unmöglich, das gleichgültigste Wort an Anna zu richten; so kam es, als sie auch nichts zu mir sagte, daß nach einer sehr stillschweigenden Übereinkunft wir füreinander gar nicht da waren, ohne uns deswegen zu meiden. Sie kam ebensooft zu uns herüber, wenn ich da war, wie sonst, und ich besuchte den Schulmeister nach wie vor, wo sie sich dann zufrieden herumzubewegen schien, ohne sich um mich zu bekümmern.
Indessen kam es mir wunderlich vor, daß kein Mensch unsere seltsame Haltung zu bemerken schien, obgleich es doch gewiß auffallen mußte, daß wir auch gar nie etwas zueinander sagten. Die älteste Base, Margot, hatte sich diesen Sommer mit dem jungen Müller verlobt, welcher ein stattlicher Reitersmann war, die mittlere duldete offen die Bewerbungen eines reichen Bauernsohnes, und die jüngste, ein Ding von sechszehn Jahren, welches sich im Kriege immer am wildesten und feindseligsten gebärdet, war unmittelbar oder fast während eines der hitzigsten Gefechte überrascht worden, wie sie in einer Laube sich schnell von dem Philosophen küssen ließ; die Wolken der Zwietracht hatten sich daher verzogen, der allgemeine Friede war hergestellt, nur zwischen mir und Anna, welche nie im Kriege gelegen miteinander, war auch kein Friede, oder vielmehr ein sehr stiller, denn unser Verhältnis blieb sich immer gleich. Anna hatte die erste äußere Garnitur aus dem Welschland schon abgelegt und war wieder frischer und freier geworden; allein sie blieb doch ein feines und sprödes Kind, das überhaupt nicht viel sprach, leicht beleidigt und gereizt wurde, was ein schnelles Erröten immer anzeigte, und besonders stellte sieh ein leichter Stolz heraus, der sich mit etwas Eigensinn verband. Diesem Charakter zufolge war sie unerbittlich und hätte eher den Tod genommen, als daß sie sich durch das geringste Entgegenkommen etwas vergeben hätte. Desto verliebter aber wurde ich mit jedem Tage, so daß ich mich fortwährend mit ihr beschäftigte, wenn Ich allein war, mich höchst unglücklich fühlte und sehnsüchtig träumend die Wälder und Höhen durchstreifte; denn da ich nunmehr wieder der einzige war, welcher seine Liebe verbergen mußte, wie ich wenigstens glaubte, so ging ich auch vorzugsweise wieder allein und auf mich selbst angewiesen. Ich brachte die Tage im tiefen Walde zu, mit meinem Handwerkszeuge versehen; allein ich zeichnete nur wenig nach der Natur, sondern wenn ich eine recht geheime Stelle gefunden, wo ich sicher war, daß niemand mich überraschte, zog ich ein großes schönes Stück Pergament hervor, auf welchem ich Annas Bildnis aus dem Gedächtnis in Wasserfarben malte. Dies war für mich das allergrößte Glück, wenn ich mich an einem klaren Spiegelwässerchen unter dichtem Blätterdache so wohnlich eingerichtet hatte, das Bild auf den Knien. Ich
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