Der gruene Heinrich [Erste Fassung]
vernünftig scheinende Beredsamkeit auf. Wenn ich auf den höchsten Berg laufe und den Himmel abzähle, Stern für Stern, als ob sie ein Wochenlohn wären und ich sie sämtlich in der Hosentasche hätte, so kann ich darunter kein Verdienst des Glaubens entdecken, und wenn ich mich auf den Kopf stelle und den Maiblümchen unter den Kelch hinaufgucke, so kann ich nichts Verdienstliches am Glauben ausfindig machen. Wer an eine Sache glaubt, kann ein guter Mann sein, wer nicht, ein ebenso guter. Wenn ich zweifle, ob zwei mal zwei vier seien, so sind es darum nicht minder vier, und wenn ich glaube, daß zwei mal zwei vier seien, so habe ich mir darauf gar nichts einzubilden, und kein Mensch wird mich darum loben. Wenn Gott eine Welt geschaffen und mit denkenden Wesen bevölkert hätte, darauf sich in einen undurchdringlichen Schleier gehüllt, das geschaffene Geschlecht aber in Elend und Sünde verkommen lassen, hierauf einzelnen Menschen auf außerordentliche und wunderbare Weise sich offenbart, auch einen Erlöser gesendet unter Umständen, welche nachher mit dem Verstande nicht mehr begriffen werden konnten, von dem Glauben daran aber die Rettung und Glückseligkeit aller Kreatur abhängig gemacht hätte, alles dieses nur, um das Vergnügen zu genießen, daß an Ihn geglaubt würde, Er, der seiner doch ziemlich sicher sein dürfte so würde diese ganze Prozedur eine gemachte Komödie sein, welche für mich dem Dasein Gottes, der Welt und meiner selbst alles Tröstliche und Erfreuliche benähme. Glaube! O wie unsäglich blöde klingt mich dies Wort an! Es ist die allerverzwickteste Erfindung, welche der Menschengeist machen konnte in einer zugespitzten Lammslaune! Wenn ich des Daseins Gottes und seiner Vorsehung bedürftig und gewiß bin, wie entfernt ist dies Gefühl von dem, was man Glauben nennt! Wie sicher weiß ich, daß die Vorsehung über mir geht gleich einem Stern am Himmel, der seinen Gang tut, ob ich nach ihm sehe oder nicht nach ihm sehe. Gott weiß, denn er ist allwissend, jeden Gedanken, der in meinem Innern aufsteigt, er kennt den vorigen, aus welchem er hervorging, und sieht den folgenden, in welchen er übergeht; er hat allen meinen Gedanken ihre Bahn gegeben, die ebenso unausweichlich ist wie die Bahn der Sterne und der Weg des Blutes; ich kann also wohl sagen ich will dies tun oder jenes lassen, ich will gut sein oder mich darüber hinwegsetzen, und ich kann durch Treue und Übung es vollführen; ich kann aber nie sagen ich will glauben oder nicht glauben; ich will mich einer Wahrheit verschließen, oder ich will mich ihr öffnen! Ich kann nicht einmal bitten um. Glauben, weil, was ich nicht einsehe, mir niemals wünschbar sein kann, weil ein klares Unglück, das ich begreife, noch immer eine lebendige Luft zum Atmen für mich ist, während eine Seligkeit, die ich nicht begriffe, Stickluft für meine Seele wäre.
Dennoch liegt in dem Worte Der Glaube macht selig! etwas Tiefes und Wahres, insofern es das Gefühl unschuldiger und naiver Zufriedenheit bezeichnet, welches alle Menschen umfängt, wenn sie gern und leicht an das Gute, Schöne und Merkwürdige glauben, gegenüber denjenigen, welche aus Dünkel und Verbissenheit oder aus Selbstsucht alles in Frage stellen und bemäkeln, was ihnen als gut, schön oder merkwürdig erzählt wird. Wo das religiöse Glauben bei mangelnder Überlegungskraft seinen Grund in jener liebenswürdigen und gutmütigen Leichtgläubigkeit hat, da sagt man mit Recht, es mache selig, und denjenigen Unglauben, welcher aus der anderen Quelle herrührt, kann man billig unselig nennen. Allein mit der eigentlichen dogmatischen Lehre vom Glauben haben beide rein nichts zu tun; denn während es christlich Gläubige gibt, welche in allen anderen Dingen die unangenehmsten Bezweifler und Bemäkler sind, gibt es ebenso viele Ungläubige, sogar Atheisten, welche sonst an alles Hoffnungsvolle und Erfreuliche mit allbereiter Leichtigkeit glauben, und es ist ein beliebtes Argument der christlichen Polemiker, daß sie solchen höhnisch vorhalten, wie sie jeden auffallenden Quark als bare Münze annähmen und sich von Illusionen nährten, während sie nur das Große und Eine nicht glauben wollten.
So haben wir das komische Schauspiel, wie Menschen sich der abstraktesten aller Ideologien hingeben, um nachher jeden, der an etwas erreichbar Gutes und Schönes glaubt, einen Ideologen zu nennen; sie bilden eine eigene wunderliche Bank der Spötter, vom Cäsar Napoleon bis herunter zum letzten
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