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Der gruene Heinrich [Erste Fassung]

Der gruene Heinrich [Erste Fassung]

Titel: Der gruene Heinrich [Erste Fassung] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gottfried Keller
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keinerlei Schuld empfand. Die Sache war aber die, daß ich schon lebhaft fühlte, daß jener angeborene und berechtigte Gehalt viel zu zarter Natur war, als daß er in eine Staatsreligion gespannt oder auch nur mit einem andern als dem schlechtweg menschlichen oder göttlichen Namen bezeichnet werden könnte.
    Das erste, was uns der Lehrer als christliches Erfordernis bezeichnete und worauf er eine weitläufige Wissenschaft gründete, war das Erkennen und Bekennen der Sündhaftigkeit. Diese Lehre traf auf eine verwandte Richtung in mir, welche tief in meiner Natur begründet ist, wie in derjenigen jedes ordentlichen Menschen; sie besteht darin, daß man jeden Augenblick sich selbst klaren Wein einschenken soll, nie und in keiner Weise sich einen blauen Dunst vormachen, sondern das Unzulängliche und Fratzenhafte, das Schwache und Schlimme sich und andern offen eingestehen. Der natürliche Mensch betrachtet sich selbst als einen Teil vom Ganzen und darum ebenso unbefangen wie dieses oder einen andern Teil desselben; daher darf er sich ebenso wichtig und erbaulich vorkommen wie alles andere, sich selbst unbedenklich hervorkehren, wenn er nur zu gleicher Zeit jedes kranke Pünktchen an sich selbst ebenso genau sieht und ins Licht setzt. Ferner muß man die besonderen Umstände seiner Fehler oder Vergehen in Betracht ziehen und die jedesmalige Verantwortlichkeit feststellen, welche immer eine andere ist; denn das gleiche Vergehen kann bei dem einen Menschen fast unbedeutend sein, während es für den andern eine Sünde ist; ja für ein und denselben Menschen ist es zu der einen Stunde unverzeihlicher und schwerer als zu der anderen Stunde. Das richtige und augenblickliche Erkennen ist nicht eine weitläufige und schwerfällige Kunst oder Übung, sondern eine ganz leichte, flüssige und schmiegsame, weil jeder alsbald recht wohl weiß, wo ihn der Schuh drückt. Das eine Mal besteht unser Vergehen nur darin, daß wir nicht auf der Hut waren und in der selbstbeherrschenden Haltung, welche wir uns nach dem Grade unserer Einsicht, Fähigkeit und Erfahrung zu eigen gemacht und welche bei jedem wieder einen andern Maßstab verlangt, nachgelassen haben, ohne dessen innezuwerden; das andere Mal besteht aber das Vergehen so recht in und durch sich selbst, indem wir es uns in der vollen Gegenwart unserer Einsicht und Erfahrung zuschulden kommen lassen. Alsdann geht die Sünde sozusagen mit der Erkenntnis und Reue zusammen, und es gibt allerdings eine Hälfte Menschen, welche ihr Leben hindurch an der einen Hand die Sünde, an der anderen Hand die Reue gleichzeitig fahren, ohne sich je zu ändern; aber ebenso gewiß gibt es eine Hälfte, welche im Verhältnis zu ihrer Erfahrung und Verantwortlichkeit in einem gewissen Grade von Schuldlosigkeit lebt, und jeder einzelne, wenn er sich recht besinnen will, kennt gewiß einzelne, bei welchen diese Schuldlosigkeit zu völliger Reinheit wird. Möge nun dieses auch eine bloße Folge von zusammengetroffenen glücklichen Umständen sein, so daß solche Erscheinungen zum Beispiel durch ein passives Fernsein vom Bösen von jeher schuldlos blieben warum denn nicht ebenso gern an eine Unschuld des Glückes, ja der Geburt glauben als an eine Schuld des Mißgeschickes, der Vorherbestimmung? Solchen Glücklichen, welche, ohne zu wissen warum und wie, gerecht und rein sind, die Phantasie verderben und verunreinigen mit dem Gedanken angeborener ekler Sündlichkeit, ist im höchsten Grade unnütz und abgeschmackt, und wenn man nicht zu ihnen gehört, für sich selber das Bekenntnis der Sünden professionsmäßig betreiben, verwandelt jene natürliche und unbefangene Selbsterkenntnis mit einem Schlage in ein manieriertes Zopftum, aus welchem mich eine unsägliche frostige Nüchternheit und Schlaffheit anweht. Daher gedeiht diese Lehre am besten bei den entnervten und erschöpften Seelen; denn die Manieriertheit ist der Zeremonienmeister des Unvermögens auf jedem Gebiete, und sie ist es, welche die frischen Geister von jedem Gebiete wegscheucht, wo sie sich breitmacht.
    Nach der Lehre von der Sünde kam gleich die Lehre vom Glauben, als der Erlösung von jener, und auf sie ward eigentlich das Hauptgewicht des ganzen Unterrichtes gelegt; trotz aller Beifügungen, wie daß auch gute Werke vonnöten seien, blieb der Schlußgesang doch immer und allein der Glaube macht selig! und dies uns einleuchtend zu machen als herangewachsenen jungen Leuten, wandte der geistliche Mann die möglichst annehmliche und

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