Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]

Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]

Titel: Der gruene Heinrich [Zweite Fassung] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gottfried Keller
Vom Netzwerk:
Tafeln zerbrochen worden. Hinter dem riesigen Manne, der in tiefem Ernste über den Tafeln kniet, steht auf einem Granitstück, ohne daß er es ahnt, das prästabilierte Jesuskind, unbekleidet, und schaut, die Händchen auf dem Rücken, dem gewaltigen Steinmetzen ebenso ernsthaft zu. Ich hatte, weil es sich nur um einen ersten Entwurf handelte, die Figuren selbst erschaffen, so gut ich es vermocht, was sie der Epoche der Erdrevolutionen noch näherrückte. Da der Moses mit den Strahlenhörnern und das Kind mit der Glorie versehen waren, so erkannte Lys zu meiner Genugtuung sofort den Gegenstand, rief aber gleich darauf: »Da ist der Schlüssel! Wir haben also einen Spiritualisten vor uns, einen, der die Welt aus dem Nichts hervorbringt! Sie glauben wahrscheinlich heftig an Gott?«
    »Allerdings«, sagte ich, neugierig zu wissen, wo er hinauswolle; Erikson aber unterbrach uns, indem er zu Lys gewendet sagte: »Lieber Freund! Plagen Sie sich doch nicht immer mit der Ausreutung des lieben Gottes! Sie machen es sich wahrhaftig saurer als der ärgste Fanatiker mit der Einpflanzung desselben!«
    »Ruhig, Indifferentist!« versetzte Lys und fuhr fort: »Da haben wir's also!
    Sie wollen sich nicht auf die Natur, sondern allein auf den Geist verlassen, weil der Geist Wunder tut und nicht arbeitet! Der Spiritualismus ist diejenige Arbeitsscheu, welche aus Mangel an Einsicht und Gleichgewicht der Erfahrung hervorgeht und den Fleiß des wirklichen Lebens durch Wundertätigkeit ersetzen, aus Steinen Brot machen will, anstatt zu ackern, zu säen, das Wachstum der ihren abzuwarten, zu schneiden, zu dreschen, mahlen und backen. Das Herausspinnen einer fingierten, künstlichen, allegorischen Welt aus der Erfindungskraft, mit Umgehung der guten Natur, ist eben nichts anderes als jene Arbeitsscheu; und wenn Romantiker und Allegoristen aller Art den ganzen Tag schreiben, dichten, malen und operieren, so ist dies alles nur Trägheit gegenüber derjenigen Tätigkeit, welche nichts anderes ist als das notwendige und gesetzliche Wachstum der Dinge. Alles Schaffen aus dem Notwendigen heraus ist Leben und Mühe, die sich selbst verzehren, wie im Blühen das Vergehen schon herannaht; dies Erblühen ist die wahre Arbeit und der wahre Fleiß; sogar eine simple Rose muß vom Morgen bis zum Abend tapfer dabeisein mit ihrem ganzen Korpus und hat zum Lohne das Welken.
    Dafür ist sie aber eine wahrhaftige Rose gewesen!«
    Da ich ihn nur halb verstand, indem ich doch glaubte, gearbeitet zu haben, so sagte ich ihm dies.
    »Das geht so zu«, antwortete er: »Die geognostische Landschaft, die Sie darstellen wollen, haben Sie nie gesehen und werden sie, ich will wetten, auch niemals sehen. Dahinein setzen Sie zwei Figuren, mit denen Sie teils die Schöpfungsgeschichte und den Schöpfer feiern, teils aber ironisieren; das ist ein gutes Epigramm, aber keine Malerei; und endlich könnten Sie, wie man wohl sieht, die Figuren, wenigstens jetzt, gar nicht selbst ausführen, ihnen folglich nicht diejenige Bedeutung geben, die Sie sich geistreich denken; folglich stehn Sie mit dem ganzen Handel in der Luft; es ist ein Spiel und keine Arbeit! Nun aber genug hievon, und lassen Sie sich sagen, daß ich meine Predigt nicht gegen Sie, sondern gegen die ganze Gattung richte; denn an sich betrachtet, machen mir Ihre Sachen schon deswegen Vergnügen, weil sie einen Kontrast zu den meinigen bilden. Wir sind allzumal dualistische Tröpfe, wir mögen es anfangen, wie wir wollen. Was haben Sie hier für einen Schädel?
    Der war nie präpariert, kommt also aus der Erde?«
    Er deutete auf den Schädel des Albertus Zwiehan, der in einer Ecke am Boden lag.
    »Der gehörte auch einem Dualisten an in gewissem Sinne«, erwiderte ich und erzählte, indem wir fortgingen, mit einigen Worten die Geschichte von den zwei Weibern, zwischen denen jener hin-und hergezogen worden. »Ich sag es ja!« lachte Lys, »nehmen wir uns in acht, daß wir nicht zwischen zwei Stühle fallen!«
    Wir blieben bis tief in die Nacht alle drei beieinander und verabredeten, uns öfter zu treffen, was dann auch geschah, so daß wir bald gute Freunde und überall zusammen gesehen wurden.

Zwölftes Kapitel
    Fremde Liebeshandel
    Die räumliche Entfernung unserer Heimatlande untereinander, indem sie im äußersten Norden, Westen und Süden des ehemaligen Reichsrandes liegen, verband uns mehr, als daß sie uns trennte. Alle drei von einem gleichen innern Zuge der gemeinsamen Abstammung beseelt und an den großen

Weitere Kostenlose Bücher