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Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]

Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]

Titel: Der gruene Heinrich [Zweite Fassung] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gottfried Keller
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Abendrote stehen gleich einer brennenden Stadt, so daß wir alle drei hoch auflachten. Da waren zwei große Kartons, eine altdeutsche Auerochsenjagd in einem von Formen angefüllten gewaltigen Bergtale und ein germanischer Eichenwald mit Steinmälern, Heldengräbern und Opferaltären. Ich hatte die beiden Sachen mit großer Schilffeder auf die mächtigen Papierflächen gezeichnet und markig schraffiert, auch breite Schattenmassen mit grauer Wasserfarbe angelegt, darauf die Kartons mit Leimwasser überzogen und auf diesem Grund sodann mit Ölfarben lustig herumgewirtschaftet in der Weise, daß in den helldunklen durchsichtigen Teilen überall die Schilffederzeichnung durchblickte. Nicht eine einzige Naturstudie hatte ich dazu benutzt, sondern in meinem ungezügelten Schaffensdrang den ersten und letzten Strich frei erfunden, und da diese Art von Arbeit ebenso leicht als fröhlich vor sich ging, so sahen die zwei farbigen Kartons nach etwas aus, ohne daß viel davon zu sagen war.
    Denn ob ich auch imstande gewesen wäre, solche Bilder wirklich auszuführen, konnte man zunächst nicht wissen. Die acht Zoll großen Figuren hatte ich mir durch einen jungen Landsmann hineinzeichnen lassen, der als Schüler auf die Akademie ging und schon keck zu skizzieren verstand. Sie waren aber noch ungefärbt und trieben sich einstweilen als weiße Gespenster in den Wäldern herum. Hinter diesen Fahnen, von welchen die eine kulissenartig halb hinter der andern verborgen stand, ragte an der Wand eine dritte über sie hinaus, in gleicher Weise angelegt, aber noch ohne Farben. Eine von gewaltigen breiten Linden umgebene kleine Stadt baute sich zwischen den Stämmen und aus den Wipfeln heraus an einer Berglehne hinan, dicht gedrängt mit zahlreichen Türmen, Giebelhäusern, Wimpergen, Zinnen und Erkern. Man sah in die engen, krummen und mit Treppen verbundenen Gassen hinein, auf kleine Plätze, wo Brunnen standen, und durch die Glockenstuben des Münsters hindurch, hinter welchen die hellen Sommerwolken zogen, wie auch hinter den offenen Trinklauben, die sich in die Luft hinaus profilierten und Gesellschaften kleiner Männlein meiner eigenen Arbeit beherbergten. Ich hatte die merkwürdige Stadt mit Hilfe eines architektonischen Sammelwerkes zusammengebaut und die Formen der romanischen und gotischen Baustile in bunter Gruppierung und Übertreibung so gehäuft, wie kaum jemals vorkam, und dabei die Entstehungsweise chronologisch angedeutet, indem die Burg und die untern Teile der Kirche das höchste Alter in der Bauart zeigten. Der hochgerückte Horizont zog sich noch über die Linden weg und schloß ein weites Gelände ab, das Meierhöfe, Mühlen, Gehölze und in einem düstern Schattenwinkel das Hochgericht umzirkte. Vorn sollte aus dem offenen Tore eine mittelalterliche Hochzeit über die Fallbrücke kommen und sich mit einem einziehenden Fähnlein bewaffneter Stadtknechte kreuzen. Dies Figurengewimmel fügte ich mit erklärenden Worten hinzu, da einstweilen bloß der Platz dazu offen war.
    »Vortrefflich!« sagte Lys, »eine gedachte Staffage, das ist das Leichteste und Duftigste, was es gibt! Übrigens glüht Ihre Stadt in der verfluchten Himbeerbrühe dieses Abendrotes wie das brennende Troja! Doch fällt mir ein Sie müssen alles aufgetürmte Mauerwerk aus rotem Sandstein bestehen lassen, das wird den kolossalen Bäumen gegenüber und in Verbindung mit den weißglänzenden Wolken einen eigentümlichen Effekt machen! Doch was haben wir hier wieder?«
    Er meinte einen gegen die Wand lehnenden kleinern Karton, der sich grau in grau als eine Darstellung meiner Heimatsgegend zur Zeit der Völkerwanderung auswies. Über die bekannten Landformen zogen sich Urwälder neben-und übereinander hin, zwischen deren Furchen ein ferner Heerbann sich bewegte; auf einer Berghöhe rauchte ein römischer Wachtturm.
    Doch schon hatte Lys einen zweiten Entwurf umgedreht, eine sozusagen geologische Landschaft. Durch neuere Gebirgsarten, die sich schulgerecht unterscheiden lassen, ist ein kronenartiges Urgebirge gebrochen, welches mit jenen zusammen doch eine malerische Linie zu bilden sucht. Kein Baum oder Strauch belebt die harte öde Wildnis; nur das Tageslicht bringt einiges Leben, das mit dem dunklen Schatten einer über dem höchsten Gipfel ruhenden Wetternacht ringt. Im Gestein aber beschäftigt sich Moses auf den Befehl Gottes mit der Herrichtung der Tafeln für die zehn Gebote, die zum zweiten Male aufgeschrieben werden sollen, nachdem die ersten

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