Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]

Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]

Titel: Der gruene Heinrich [Zweite Fassung] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gottfried Keller
Vom Netzwerk:
Binnenherd der Völkerfamilie gekommen, befanden wir uns in der Lage weitläufiger Vettern, die im Gedränge eines gastfreien Hauses unbeachtet die Köpfe zusammenstecken und sich Lob oder Tadel dessen, was ihnen gefiel oder mißfiel, gegenseitig anvertrauen. Wir hauen freilich schon ein und anderes Vorurteil mitgebracht, ohne unsere Schuld. Es war jene Zeit, da Deutschland von seinen dreißig oder vierzig Inhabern so eng sinnig und ungeschickt verwaltet wurde, daß Scharen von Vertriebenen jenseits der Grenzen umherzogen und die Fremden im Schmähen und Schelten gegen ihr Vaterland förmlich unterrichteten. Sie setzten Spottworte in Umlauf, welche den Nach baren bisher unbekannt gewesen waren und nur aus dem Innern des gescholtenen Landes kommen konnten, und da die Gaben der Selbstironie, deren Übertreibung das Phänomen am Ende war, außerhalb Deutschlands nur spärlich verstanden und geschätzt werden, so nahm der Fremde das Unwesen zuletzt für bare Münze und lernte es selbständig gebrauchen oder mißbrauchen, zumal man sich mit solchem Tun förmlich einschmeicheln konnte bei den Unglücklichen, die in ihrer Weltunkenntnis hievon Hilfe und Beistand erwarteten. Jeder von uns hatte dergleichen gehört und in sich aufgenommen. Mit der Zeit aber führte uns das vertraute Gespräch zu der Verständigung, daß die Ausgewanderten und die Daheimgebliebenen jederzeit verschiedene Leute seien und daß, um den Charakter eines Volkes recht zu kennen, man dasselbe bei sich und an seinem Herde aufsuchen müsse. Es sei geduldiger und darum auch besser als die Ausgeschiedenen und stehe daher nicht unter, sondern über ihnen, trotz des gegenteiligen Anscheines, den es schließlich immer zu vernichten wisse.
    Waren wir nun hierüber beruhigt, so plagte uns wieder ein anderes Übel, nämlich der Gegensatz zwischen den Südlichen und Nördlichen. Bei Völkerfamilien und Sprachgenossenschaften, welche zusammen ein Ganzes bilden sollen, ist es ein wahres Glück, wenn sie einander etwas aufzurücken und zu sticheln haben; denn wie durch alle Welt und Natur bindet auch da die Verschiedenheit und Mannigfaltigkeit, und das Ungleiche und doch Verwandte hält besser zusammen. Das aber, was wir die Nord-und Südländer sich vorwerfen hörten, war gröblich beleidigend und lieblos, indem diese jenen Herz und Gemüt, jene diesen Geist und Verstand absprachen, und so unbegründet die Tradition war, gab es nur wenige tüchtige Personen beider Hälften, welche nicht daran glaubten. Oder jedenfalls zeigten nur wenige den Mut, die schlendrianischen Reden solcher Art zu unterbrechen, wenn sie unter den Ihrigen waren. Um für unser Bedürfnis den vermißten idealen Zustand herzustellen, gaben wir uns das Wort, jedesmal wenn der Fall eintrat, als Unparteiische aufzutreten, ob wir einzeln oder in Kompanie zugegen seien, und für den, wie wir glaubten, mißhandelten Teil einzustehen. Zuweilen gelang es uns, einige Verblüffung zu erregen oder gar eine wohlwollende Wendung hervorzurufen; andere Male dagegen wurden wir selbst da-oder dorthin klassifiziert und je nach unserer Herkunft als einfältige Biederleute und Gemütsduseler oder als überkritische, geistreiche Hungerschlucker bezeichnet.
    Weil das aber uns keineswegs unglücklich machte, vielmehr unsere Heiterkeit wachrief, so wurde wenigstens der schneidende Ton der Unterhaltung gemildert und ein leidlicher Ausgleich zustande gebracht.
    Unser Mittleramt wurde aber eines Tages überflüssig und zugleich schönstens belohnt, als die ganze reichgeartete Künstlerschaft die kommende Faschingszeit zu feiern sich zusammentat, um in einem großen Schau-und Festzuge ein Bild untergegangener Herrlichkeit zu schaden, nicht mit Leinwand, Pinsel und Meißel, sondern mit Einsetzung der lebendigen Person.
    Es sollte das alte Nürnberg wiederauferweckt werden, wie es in beweglichen Menschengestalten sich darstellen konnte und wie es zu der Zeit war, als der letzte Ritter, Kaiser Maximilian, in ihm Festtage feierte und seinen besten Sohn, Albrecht Dürer, mit Ehren und Wappen bekleidete. In einem einzelnen Kopfe entstanden, wurde die Idee sogleich von achthundert Männern und Jünglingen, Kunstbeflissenen aller Grade, aufgenommen und als tüchtiger Handwerksstoff ausgearbeitet und ausgefeilt, als ob es gälte, ein Werk für die Nachwelt zu schaffen, und es erwuchs in der sachgerechten und allseitigen Vorbereitung eine Lust und Geselligkeit, welche wohl an Macht von der Freude des Festtages überboten wurde, in

Weitere Kostenlose Bücher