Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]
für das Eintragen des Festgesetzten; vor dem Gegenwärtigen, sofern es als neu oder überraschend erscheine, ständen sie in der Regel unproduktiv und ratlos, und die ersten Stichworte müßten immer von den Künstlerkreisen ausgehen und seien daher meistens parteiisch, welche Parteilichkeit von den Literaten, nachdem die erste Kopflosigkeit überwunden, weiter ausgesponnen werde, bis der Gegenstand der Vergangenheit angehöre und einer verständigen Registrierung fähig geworden. Es sei das ein verdrießlicher Handel! Er habe Maler gekannt, die den verwichenen Raffael einen unangenehmen Kerl gescholten und dabei auf ihre grausam kritische Ader sich wunder was eingebildet haben; hinwieder seien ihm Kollegien lesende Professoren vorgekommen, welche an älteren Bildern eine wirkliche metallische Vergoldung nicht von gemaltem Golde zu unterscheiden wußten und in technischer Hinsicht überhaupt auf dem Standpunkte von Kindern und Wilden standen, die in einem gemalten Gesichte den Nasenschatten für einen schwarzen Fleck anzusehen pflegen.
Ich bemerkte wohl, daß Lys mit seinen Bildern in eigentümlicher Weise durch die Schule der großen Italiener hindurchgegangen sei, ohne sie im Unmöglichen gerade nachmachen zu wollen, erfuhr nun aber, er habe früher sich zum strengen deutschen Zeichner ausgebildet, der es im sichern Führen von Stift und Kohle fast seinem berühmten Meister gleichgetan und die Farbe für ein mehr oder weniger notwendiges Übel gehalten habe. Nach einem mehrjährigen Aufenthalt in Italien sei er gänzlich umgewandelt zurückgekommen, mit Geringschätzung auf die frühere Weise herabsehend.
Als hievon die Rede war und Erikson bedauerte, daß Lys die edle Kunst der deutschen Zeichnung, die doch in ihrer Art ein unersetzliches Gut und Wahrzeichen der Nation sei, so ganz beiseite werfe, erwiderte dieser: »Ei was!
Wer einmal recht zu malen versteht, kann erst recht zeichnen, und zwar alles, was er will! Übrigens übe ich das Ding manchmal noch, freilich nur zu meinem eigenen Spaß.«
Er holte ein ziemlich großes Album vom besten Papier herbei, das in Leder gebunden und mit einem stählernen Schlosse versehen war. Mit dem Schlüsselchen, das an seinem Uhrgehänge befestigt war, geöffnet, zeigte sich Blatt um Blatt eine Welt von Schönheit und zugleich der Verspottung derselben, wie sie nicht leicht wieder in solcher Weise sich zusammenfinden mag. Es war die Geschichte einer Reihe von Liebschaften, welche er erlebt und in das Buch gezeichnet hatte mit feinstem Stifte und im solidesten deutschen Stil, als ob Dürer und Holbein, Overbeck oder Cornelius den Dekameron illustriert und die Zeichnungen für den Grabstichel unmittelbar fertig gebracht hätten. Eine solche Geschichte bestand je nach ihrer Dauer aus mehr oder weniger zahlreichen Blättern; jede begann mit dem Bildniskopfe des betreffenden Frauenzimmers und einigen Variationen desselben in verschiedener Auffassung; dann folgte die ganze Figur, wie man wohl einer schönen Person zum ersten Mal auf dem Markte, in der Kirche oder im öffentlichen Garten ansichtig wird; dann entwickelte sich die Begegnung und das Verhältnis zum Helden, immer Lys selbst, bis zum Sieg und Triumph der Liebe, worauf der Niedergang sich einleitete mit Gezänkszenen, Abenteuern der einseitigen oder gegenseitigen Untreue bis zur unvermeidlichen Trennung, die entweder mit einer jähen Verstoßung des scheinbar zerknirschten Helden oder mit einer komischen Gleichgültigkeit beider Teile vor sich ging. In diesem Verlaufe glänzte besonders eine Anzahl Einzelfiguren von schmollenden oder weinenden Schönen als wahre kleine Monumente des anmutig strengen Stiles. Eine entfesselte Haarflechte, eine Verschiebung der Gewänder an Schulter oder Fuß erhöhte stets den Eindruck der Bewegtheit, wie das zerrissen flatternde Segel eines Fahrzeuges von überstandenem Unwetter Kunde gibt. Es war nicht zu entscheiden, ob diese tragischen Situationen eine andächtig mitfühlende Hand geschildert oder ob eine leise Ironie ihren Teil daran hatte; unbestritten dagegen strahlten die weiblichen Ehren einiger Wesen, welche auf der Höhe ihres Triumphes in mythologischen Gestaltungen verklärt wurden.
Lys schlug so unbefangen ein Blatt nach dem andern um, als ob er ein Schmetterlingsbuch vorwiese, und nannte nur zuweilen den Namen einer der Schönen das ist die Teresa, das die Marietta, das war in Frascati, das in Florenz, das in Venedig!
Wir schauten ebenso erstaunt als sprachlos dem
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