Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]
betrachtet mußte die gleiche Figur, mit der ich in dem Entwurf jenes Bildes eine tiefsinnige Ironie zu begehen der Meinung war, jetzt meine Angelegenheiten wenigstens mit einer artigen Parabel verzieren helfen, sie mit einem Bezuge auf das Unendliche veredeln.
Alles schien jetzt gut und jede Erfüllung wieder möglich, ja wahrscheinlich zu sein; keinen Augenblick zögerte ich, das Opfer anzunehmen, und schrieb meine Antwort etwas kleinlaut und doch offen und wohlgemut. Dabei ermangelte ich nicht, meiner wunderlichen Universitätsstudien zu erwähnen und dieselben als eine für die Gegenwart allerdings nachteilige, für die Zukunft aber doch irgendwie Nutzen bringende Störung darzustellen; und schließlich landete ich wieder an dem Kap der guten Hoffnungen und Verheißungen.
Als die Mutter diesen Brief empfing und ihn gelesen hatte, schloß sie die Stubentüre zu und ihren alten Schreibtisch auf und brachte aus dessen Fächern zum ersten Mal den Schatz ihrer Ersparnisse ans Licht. Sie fügte die Taler zu Rollen und diese zu einem unförmlichen Pakete, umwand es mehrmals mit starkem Papier und dieses mit Schnüren, beträufelte es überall mit Siegellack und drückte das Petschaft darauf, alles sehr unkaufmännisch mit überflüssiger Mühe, denn es war schon lange fest genug; aber es war doch jedenfalls fest.
Dann schob sie das schwere Paket in eine taftene Handtasche oder Retiküle, legte es auf den Arm und eilte auf Seitenwegen zur Post; denn sie wünschte nicht gesehen zu werden, weil sie nicht gesonnen war zu antworten, wenn jemand sie befragt hätte, wo sie mit dem Gelde hinwolle. Mühselig und mit zitternder Hand streifte sie das seidene Säcklein von dem Geldkloben, reichte ihn durch das Schiebfensterchen und gab ihn mit einem Gefühl der Erleichterung aus der Hand. Der Beamte besah die Adresse, dann die Frau, machte seine umständlichen Verrichtungen, gab ihr den Empfangschein, und sie begab sich, ohne sich umzuschauen, hinweg, als ob sie soviel Geld jemandem genommen anstatt gegeben hätte. Der linke Arm, auf dem sie die Last getragen, war steif und ermüdet, und so kehrte sie etwas angegriffen in ihre Behausung zurück, stillschweigend durch ein Gedränge von Leuten, welche keinen Gulden für ihre Kinder hergeben, ohne damit zu prahlen, zu lärmen oder darüber zu jammern und zu klagen. Zu jener Zeit, als mein Oheim lebte und noch predigte, hatte er einmal gesagt: »Gott weiß wohl, welche Leute bescheiden und still sind und welche nicht, und er zwickt die letztern gelegentlich ein wenig, ohne daß sie wissen, woher es kommt; und ich habe ihn im Verdacht, daß das ihm alsdann einen kleinen Spaß macht!«
Zu Hause fand die Mutter die Klappe des Schreibtisches noch geöffnet und die Schublädchen aufgezogen, die nun leer waren; sie schloß dieselben und öffnete beiläufig dasjenige, in welchem für ihr tägliches Bedürfnis ein unbeträchtliches Häuflein Münze in einem Schälchen lag und verkündigte, daß zunächst nun jede Wahl verschwunden war zwischen Gütlichtun und weiterm Darben und daß die gute Frau jetzt mit dem besten Willen sich keine guten Tage mehr hätte machen können. Allein das wurde von ihr weder bemerkt, noch kam es in Frage. Sie stieß auch dies Lädchen sogleich wieder zu, versorgte Schreibzeug und Siegellack, verschloß den Schrank und setzte sich auf das alte Sorgenstühlchen ohne Lehnen, um von ihren Taten auszuruhen, aufrecht wie ein Tännlein.
So sehe ich sie jetzt noch, obgleich ich nicht dabei war, dank der Kenntnis ihrer Gewohnheiten, ähnlich wie der Altertumskundige mit seinen Hilfsmitteln und Anhaltspunkten die Ansicht eines zerstörten Denkmales wiederherstellt.
Viertes Kapitel
Das Flötenwunder
Das Geldpack wurde mir nicht wie der Brief von dem Hauswirtskinde, sondern von dem Postboten selbst aufs Zimmer gebracht. Sein gewichtiges Treppensteigen, das so lange ausgeblieben, belebte die Leute sofort mit einer vorläufigen Genugtuung über das ungebrochene Vertrauen, das sie mir geschenkt; mit dankbarer Gesinnung empfingen sie dann ihr ziemlich aufgelaufenes Guthaben, nachdem ich das Geld nicht ohne Mühe von den vielen Hüllen und Schnüren befreit und den neuen Brief rasch durchflogen hatte, der von unsicherer, ihren Gegenstand nicht übersehender Sorge geschrieben war.
Auch der Schneider, der Schuhmacher und die übrigen Lieferanten unterschrieben ihre Rechnungen mit freundlicher Zufriedenheit und empfahlen sich für weitere Kundschaft. Das machte mir alles so
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