Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]
bringen. Selbst Christus war ein bißchen eitel, denn er hielt Haar und Bart gelockt und ließ sich die Füße salben!«
So klingt dieses schöne Lied, und diese Eitelkeit ist erst der wahre Moloch, dessen gelindes Feuer Menschen und Kieselsteine frißt. Er bleibt stets er selbst, der Moloch, und fürchtet sich nicht und lächelt sein ehernes Lächeln, während sein heißhungriger Bauch glüht. An ihm versengen sich Freundschaft, Liebe, Freiheit und Vaterland und alle guten Dinge, und wenn er nichts mehr zu fressen hat, wird er ein kalter Ofen voll Asche.
Während dieser eifrigen Predigt, die ich mir selber hielt, war ich weitergewandert, und da mir das Gedankenspinnen die kühle Zeit vertrieb, so setzte ich es fort. Ich prüfte nun mich selber und meine Manieren und untersuchte für den Fall, daß ich von dem Laster mäßig frei sein sollte oder je würde, die Stellung, in welcher man sich der eiteln Welt gegenüber befindet.
Gewiß ist, dachte ich, daß die Eiteln die Sklaven der Freien sind, um deren Beifall sie buhlen; aber Sklaven empören sich und werden grausam wie die Neger von St. Domingo. In beiden Fällen gilt es, durch sie hindurchzugehen und mit ihnen auszukommen, ohne Schaden an der Seele oder am Leibe zu nehmen. Aber warum soll man sich denn von ihnen unterscheiden, sich über sie erheben? Um auf dieses Erhobensein selbst wieder eitel zu werden?
Hier befand ich mich in einer Sackgasse, und indem ich den Ausgang suchte, wurde die Grübelei von einem Windstoße unterbrochen, der einen Baum so gewaltig schüttelte, daß dieser seine aufgesammelten Wasser mir jählings auf Schultern und Rücken warf. Ich schüttelte mich ebenfalls und sah mich nach einer Zuflucht um, die aber nicht vorhanden und mir auch nicht gestattet war. Dennoch verlangte mich nach irgendeiner Erleichterung; zuletzt fand ich dieselbe in dem Zwiehansschädel, der mehr seiner unbequemlichen Form als seines Gewichtes wegen mich zu drücken begann. Allein im Begriff, ihm seitwärts in einem Dickicht sachte niederzulegen, überkam mich plötzlich der Wunsch und das Bedürfnis, in meiner Zwangslage etwas Freiwilliges zu tun und mich dadurch, wenn auch nur eines Daumens hoch, über dieselbe emporzuheben. Also packte ich den asketischen Gegenstand wieder auf und setzte die mühselige Wanderschaft fort, die mich zum Überfluß noch auf allerlei verlorene und schwierige Pfade brachte.
Neuntes Kapitel
Das Grafenschloß
So ging es bis zur Abenddämmerung, wo die Ermüdung, Frost und jegliche Schwäche so überhandnahmen, daß ein moralischer Zusammenbruch nur durch die ärgerliche Betrachtung verhindert wurde es könne ja keine Rede davon sein, etwa umzukommen oder unterzugehen, und das schlechte Abenteuer wäre also als bloße Vexation durchaus entbehrlich. Ich raffte mich nochmals zusammen und bekam wieder die Oberhand.
Endlich trat ich aus den Forsten heraus und sah ein breites Tal vor mir, in welchem ein großes Herrengut zu liegen schien; denn schöne Parkbäume zeigten sich anstatt des Waldes und umgaben eine Dächergruppe, und weiterhin lag zwischen Feldern und Weidegründen eine weitläufige Dorfschaft zerstreut. Zunächst vor mir sah ich eine kleine Kirche stehen, deren Türen geöffnet waren.
Ich ging hinein, wo es schon ziemlich dunkel war und das Ewige Licht wie ein trübrötlicher Stern vor dem Altare schwebte. Die Kirche war offenbar sehr alt, die Fenster zum Teil noch aus gemalten Scheiben bestehend und Wand und Boden mit Grabsteinen und Mälern bedeckt.
»Hier will ich die Nacht zubringen«, sagte ich zu mir selbst, »und mich im Schatten dieses Tempels ausruhen!«
Ich setzte mich in einen schrankartigen Beichtstuhl, in welchem ein dickes Kissen lag, und wollte eben das Vorhängelchen zuziehen, um augenblicklich einzuschlafen, als eine Hand das grüne Seidenfähnchen festhielt und der Küster, der mir in weichen Hausschuhen nachgegangen, vor mir stand und sagte:
»Wollt Ihr etwa hier übernachten, guter Freund? Ihr könnt nicht dableiben!«
»Warum nicht?« sagte ich.
»Weil ich sogleich die Kirche schließen werde! Geht nur hinaus!« erwiderte der Küster.
»Ich kann nicht gehen«, sagte ich, »laßt mich hier sitzen, nur einige Stunden, die Mutter Gottes wird es Euch nicht übelnehmen!«
»Geht jetzt sogleich!« rief er, »Ihr könnet durchaus nicht hierbleiben!«
Ich schlich also trübselig aus der Kirche, und der wachsame Seilzieher machte sich daran, die Türen zu verschließen. Ich stand jetzt auf dem
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