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Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]

Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]

Titel: Der gruene Heinrich [Zweite Fassung] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gottfried Keller
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unsereinen sind so recht handgreifliche Exerzitien gut; denn was wir nicht sehen und fühlen, sind wir selten zu glauben geneigt oder halten es für unvernünftig und nicht der Beachtung wert!«
    Sogleich holte sie mit Hilfe des Küsters einen kleinen Tisch herbei, auf welchem ein paar Teller mit einigem Essen standen.
    »Hier ist zum Glück gerade mein Abendbrot. Nehmen Sie vorläufig etwas zu sich, bis Papa nach Haus kommt und für Sie sorgt. Geht schnell ins Haus hinüber, Küster, und laßt Euch von der Haushälterin eine Flasche Wein geben, hört Ihr? Trinken Sie lieber weißen oder Rotwein, Herr Lee?«
    »Roten!« sagte ich unhöflich, weil ich jetzt wieder verlegen war, in diesem Zustande zwischen einem hilfsbedürftigen und unbekannten Landfahrer und einem gut behandelten Angehörigen der Gesellschaft das rechte Wort zu treffen.
    »So soll man Euch von unserm roten Tischwein geben!« rief sie dem abgehenden Küster nach und zog dann an einer Klingelschnur, worauf ein ländlich gekleidetes Mädchen herbeigelaufen kam, welches, von meinem Anblick überrascht, stehenblieb und mich mit Erstaunen betrachtete. Es war die Tochter eines Gärtners, der unter dem gleichen Dache seine Wohnung hatte; wie sich mit der Zeit ergab, stellte sie die Dienerin und Vertraute des Fräuleins in einer Person vor und stand mit der Herrentochter auf du und du.
    »Wo steckst du, Röschen?« rief die letztere, »hurtig zünde Licht an, wir haben eine Heimsuchung und bleiben vorerst noch hier!«
    Ich unterdessen hatte Gabel und Messer ergriffen, um einer Schnitte kalten Bratens zuzusprechen, war aber neuerdings verlegen. Das silberne Werkzeug war ein offenbar lange gebrauchtes Kinderbesteck; auf der kleinen Gabel war in gotischer Schrift der Name »Dorothea« sauber eingegraben, und da das neuangekommene Röschen die Herrin soeben Dortchen nannte, hielt ich unzweifelhaft ihr eigenes Eßgeräte in der Hand. Ich legte dasselbe nieder; Röschen bemerkte gleichzeitig den Umstand und rief: »Was machst du denn, Dortchen? Du hast ja dem Manne dein eigenes Besteck gegeben!«
    Leicht errötend sagte das sogenannte Fräulein Dortchen: »Wahrhaftig, so geht es, wenn man zerstreut ist! Entschuldigen Sie, daß ich Sie mit meinen Kinderwaffen versehen habe! Sollten Sie indessen nicht davor ekeln, so dürften Sie nur ruhig fortfahren, und ich selbst gewänne das Ansehen einer heiligen Elisabeth, welche die Armen aus ihrem eigenen Teller speist.«
    Auf diesen artigen Scherz wußte ich nichts mehr einzuwenden. Doch wollte es mit dem Essen nicht recht gehen; ich empfand auf einmal keinen Appetit, vielmehr bedrückte mich ein Gefühl, als ob ich am unrechten Orte wäre, und wünschte, draußen auf der Landstraße und in der Freiheit zu sein, wußte aber freilich, daß es nicht gut gehen würde. Es wurde mir etwas behaglicher zu Mute, als ich ein Glas Wein ausgetrunken, das mir Röschen eingeschenkt, mich mit kritischen Äuglein musternd. Dann lehnte ich mich zurück und sah dem Treiben der beiden Personen zu. Das Fräulein hatte sich inmitten des Saales an einen großen runden Tisch gesetzt, und die Gärtnerstochter stand neben ihr. Auf dem Tische befanden sich allerlei Gläser und Krügelchen mit Blumen und bunten Waldsachen, wie sie der Herbst zu bringen pflegt, rote und schwarze Beerenbüschel. Dazwischen lag merkwürdiges, purpurrotes oder goldgelbes Blattwerk, gefiedert und herzförmig, glänzend grüne Efeublätter von besonderer Schönheit, Schilf, alles bereit, zu einem Strauße vereinigt zu werden oder auch so zur Augenweide zu dienen. Die Blumen schienen von dem Kirchhofe zu kommen, wie ich denn sah, daß das Fräulein auch die heute gepflückten eben in ein Glas mit frischem Wasser stellte. Einige Sträußchen waren frisch, andere verwelkt oder halb verwelkt, was anzuzeigen schien, daß die Schöne eine liebevolle Freundin und Pflegerin der Toten sein müsse. Das erinnerte mich an die Sage von der heiligen Elisabeth, die als Kind mit ihren Genossen gern auf Gräbern gespielt und von den Toten gesprochen hatte, und da diese Dorothea selbst in jenen Legenden bewandert war, so verlieh dies alles ihrem Wesen den Goldglanz einer tieferen Gemütsart, während ihr freies und entschiedenes Benehmen die Voraussetzung einer kirchlichen Bigotterie nicht aufkommen ließ.
    Ich blickte mit einer Art einschläfernden Wohlgefallens nach dem Tische hin, sah und hörte mit halboffenen Augen und Ohren noch eine Weile, was sie taten und sprachen, ohne darauf zu

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