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Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]

Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]

Titel: Der gruene Heinrich [Zweite Fassung] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gottfried Keller
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fahren. Ich zog das Gespenst sachte zurück; der Waldhüter starrte bewegungslos her; als ich es aber weiter oben aus dem Gebüsche tauchen ließ, irrten seine rundlichen Augen ihm dorthin nach, worauf er, so schnell ihn die schlotternden Beine tragen wollten, sich davonmachte, ohne einen Laut von sich zu geben. Erst in bedeutender Entfernung, wo der Weg sich abbog, blieb er einen Augenblick stehen und schaute behutsam zurück. Da ließ ich den Schädel etwas wackeln, und sogleich verschwand der Flüchtling um die Ecke und war nicht mehr zu sehen. Er hatte freilich durchaus keinen Grund anzunehmen, daß bei diesem Wetter und zugunsten des armen Weibchens ein bloßer Hokuspokus im tiefen Walde aufgeführt werde, und überdies zeigten die Ohrringe genugsam an, daß er ein abergläubischer Mensch war. Das alte Mütterchen, das in seinem Schrecken nichts als die Flucht des Peinigers gesehen, wußte nicht, wie ihm geschah, ließ alles liegen und machte sich ebenfalls aus dem Staube; mit den zitternden Händen ruderte sie eifrig in der Luft und redete vor sich hin.
    Meinesteils packte ich das alte gelbliche Kopfgeräte wieder ein, das so gute Dienste geleistet. Ich war von dem Scherze ordentlich erwärmt worden und ruhte noch ein Weilchen aus, wie ein Sieger auf dem Kampfplatz, mit dem erquicklichen Gefühle, daß selten einer so übel daran sei, der nicht durch irgendeine kleine Wendung über die Dinge gestellt werden könne. Ich betrachtete in Gedanken den aus dem Felde geschlagenen Unhold und bemühte mich, die Grundlage seines bestialischen Wesens aufzufinden. Ich sah die rund glänzenden Augen, die hochroten Gesichtspolster, den grauen, trefflich gepflegten Schnurrbart, die blanken Knöpfe seines Dienstrockes und glaubte zu fühlen, daß das Fundament all des anmaßlich brutalen Gebausches eine grenzenlose Eitelkeit sei, die sich, als einem dumm rohen Menschen innewohnend, nicht anders als in solcher Weise zu äußern wußte.
    Dieser Kerl, dachte ich, welcher vielleicht der sorglichste Vater und Gatte ist und ein guter Gesell unter seinesgleichen, insofern er nur nicht im Prahlen und Ausbreiten seiner Art behindert wird, dieser Kerl gefiel sich ausnehmend wohl und hielt sich nach Maßgabe seiner Dummheit für einen Helden, als er das schwache Weib am Ohr zerrte. Nicht daß er etwa in der Kirche oder im Beichtstuhle nicht zuweilen einsähe, daß er fehlbar sei; der Rausch der Eitelkeit und Selbstgefälligkeit ist es, der ihn alle Augenblicke fortreißt und seinem Götzen frönen läßt. Um so genauer sieht er das Laster an seinem Vorgesetzten, dieser an dem seinigen, und so stufenweise fort, indem einer es am andern gar wohl bemerkt, aber nie unterläßt, der eigenen Unart voll Wut den Zügel schießen zu lassen, um nicht zu kurz zu kommen und sich herrlich darzustellen. Alle die tausend voneinander Abhängigen, die sich gegenseitig so erziehen, streichen ihre grauen Schnurrbärte und lassen die Augen rollen, nicht aus Bosheit, sondern aus kindischer Eitelkeit. Sie sind eitel im Befehlen und im Gehorchen, eitel im Stolz und in der Demut; sie lügen aus Eitelkeit und sagen die Wahrheit nicht um ihrer selbst willen, sondern weil sie ihnen für diesmal gut ansteht. Neid, Habsucht, Hartherzigkeit, Verleumdungssucht, Trägheit, alle diese Laster lassen sich bändigen oder einschläfern; nur die Eitelkeit ist immer wach und verstrickt den Menschen unaufhörlich in tausend lügenhafte oder wenigstens unnötige Dinge, Brutalitäten und kleinere oder größere Gefahren, die alle zuletzt ein ganz anderes Wesen aus ihm machen, als er eigentlich zu sein wünscht. Das ist dann die Folge, eine krankhafte Abirrung von seinem Selbst statt der angestrebten Befestigung desselben.
    Das ist aber nur die gröbere Hälfte, die Schar der Armen im Geiste. Die feinere Hälfte, die Schar der Begabten und Gebildeten, irrt nicht von sich ab, die hat einen Zaubersegen, der heißt: Wir wissen es und wollen es sein, nämlich eitel! »Die unschuldige Eitelkeit, sie ist die gutartige Verzierung des Daseins! Das goldene Hausmittelchen der Menschlichkeit und das Gegengift für die grobe, bösartige Eitelkeit! Die schöne Eitelkeit, als die zierliche Vervollkommnung und Ausrundung des eigenen Wesens, bringt alle Keimlein zum Blühen, die uns brauchbar und annehmlich machen für die Welt; sie ist zugleich der feinste Richter und Regulator ihrer selbst und treibt uns an, das Gute und Wahre, das sonst verborgen bliebe, in edler Gestalt an den Tag zu

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