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Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]

Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]

Titel: Der gruene Heinrich [Zweite Fassung] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gottfried Keller
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vorüber, als ich eben den Forst verließ.
    Das Morgenrot verkündete freilich ein nasses Abendbrot und gab mir keine gute Aussicht. Wenn ich meinen Wanderplan innehalten wollte, so durfte ich nicht daran denken, ein Nachtlager zu suchen, weil das mich für einen Tag der Nahrung berauben konnte. Ich dachte daher mit einigem Schrecken an die kommenden Fluten und daß ich durchnäßt die zweite Nacht hindurch wandern müsse. Die Nässe und der Schmutz besiegeln jeglichen schlechten Humor des Schicksals und nehmen dem Verlassenen noch den letzten Trost, sich etwa auf die mütterliche Erde zu werfen, wo es niemand sieht. Überall kältet ihm die unerbittliche Feuchte entgegen, und er ist genötigt, aufrecht zu bleiben.
    In wenigen Stunden verhüllte auch ein graues Nebeltuch alles Licht, und das Tuch begann sich langsam in nasse Fäden zu entfasern, bis ein gleichmäßiger starker Regen weit und breit herniederfuhr, der den ganzen Tag anhielt. Nur manchmal wechselte das naßkalte Einerlei mit noch kräftigeren Regengüssen, die, vom Winde gepeitscht, einen bewegtern Rhythmus in das Wasserleben brachten; das Land und Wege überschwemmte. Ich schritt unverdrossen durch die Fluten, froh, daß ich meinen neuen Anzug von tüchtigem Stoffe gewählt, der etwas aushielt. Erst zur Mittagszeit, dann aber pünktlich, kehrte ich in einem Dorfe ein und aß eine warme Suppe mit etwas Fleisch und Gemüse nebst einem großen Stück Brot. Auch ruhte ich eine Stunde und ging darauf wieder in den Regen hinaus. Denn wenn ich in acht Tagen, welche ich mindestens brauchte, nach Hause gelangen wollte, so mußte ich mich genau in jeder Hinsicht an die vorgesteckte Ordnung halten und durfte dabei nicht einmal erschöpft oder gar krank werden. Nur so blieb ich bis zuletzt Meister meiner selbst und hatte niemanden zu fürchten.
    Nach einigen Stunden ging ich abermals auf einem Waldwege, immer bestrebt, die große Hauptstraße zu erreichen, mit deren Längsachse meine Richtung allmählich wieder zusammenfallen mußte. Als ich abseits vom Wege eine große Buche sah, deren gelbes Laub noch genügend dicht saß, ging ich hin und fand auf einer ihrer aus dem Boden ragenden Wurzeln eine ziemlich geschützte Ruhestelle und ließ mich nieder. Da kam ein altes Mütterchen dahergetrippelt, welches mit der einen Hand ein elendes Bündelchen kurzen Reisigs auf dem grauen Kopfe trug, dessen Haare so rauh und zerzaust waren wie das Gestrüppe darauf; mit der anderen Hand schleppte sie mühselig ein abgebrochenes kleines Birkenbäumchen hinter sich her. Mit zitternden Schrittchen zerrte sie emsig und keuchend, viele ängstliche Seufzer ausstoßend, den widerspenstigen Busch über alle Hindernisse weg, gleich der Ameise, die einen zu schweren Halm nach dem Bau schafft. Ich sah dem armen Weibe voll Mitleid zu und mußte mir gestehen, daß es dieser Kreatur wohl noch schlimmer ging als mir und sie doch nicht rastete, sich zu wehren.
    Und doch war ich wiederum elend genug daran, da ich ihr nicht einmal irgend etwas helfen oder geben konnte. Wie ich über diese Ohnmacht beschämt hinstarrte, kam soeben ein Waldhüter des Weges, wohl so alt wie das Weib, aber mit rotem Gesicht, großem Schnurrbart, kleinen Ringen in den Ohren und töricht rollenden Augen. Der machte sich sogleich über die Frau her, welche den Busch erschrocken fahrenließ, und schrie: »Hast wieder Holz gestohlen, du Strolchin?«
    Bei allen Heiligen beteuerte die Alte, daß sie das Birkenbäumchen also geknickt auf dem Wege gefunden habe. Er rief aber: »Lügen tust du auch noch? Wart, ich will dir's austreiben!«
    Und der alte Mann nahm die alte Graue beim vertrockneten Ohr, das unter einem verschobenen Kattunkäppchen hervorguckte, zerrte sie daran und wollte sie dergestalt mit sich fortschleppen, daß es unnatürlich anzusehen war. Durch einen plötzlichen Einfall erleuchtet, holte ich meinen Totenkopf aus der Reisetasche, stülpte ihn auf den Stock und streckte ihn durch das Laubwerk des Unterholzes, hinter welchem ich selbst verborgen war. Zugleich rief ich mit zorniger Stimme: »Laß das Weib gehen, du schlechter Kerl!« und schüttelte den Schädel ein wenig, daß die Zähne zusammenklappten und das Laub raschelte, aus welchem er hinausguckte. Es mußte für die Leutchen draußen aussehen, wie wenn der Tod in dem Busch wäre.
    Der Waldhüter blickte nach dem Orte hin, woher die Stimme erscholl, erstarrte förmlich, wurde fahl wie schlecht gebackenes Brot und ließ das Ohr des Mütterchens

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