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Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]

Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]

Titel: Der gruene Heinrich [Zweite Fassung] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gottfried Keller
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Selbstverständlichkeit. Aber so lieblich und natürlich wie bei diesem Kinde ist mir die Erscheinung noch nie vorgekommen, und ihre unschuldige Überzeugung veranlaßte mich, der ich Gott und Unsterblichkeit hatte liegenlassen, wie sie lagen, meinen philosophischen Bildungsgang noch einmal vorzunehmen, und als ich auf dem Wege des Denkens und der Bücher wieder da anlangte, wo das Mädchen von Hause aus gewesen, und Dortchen mir über die Schultern mit in die Bücher guckte, da war es erst merkwürdig, wie sich das gedanklich bestärkte Gefühl in ihr gestaltete. Wer sagt, daß es ohne Unsterblichkeitsglauben weder Poesie noch Lebensweihe in der Welt gebe, der hätte sie sehen müssen; nicht nur Natur und Leben um sie herum, sondern sie selbst wurde wie verklärt. Das Licht der Sonne schien ihr tausendmal schöner als andern Menschen, das Dasein aller Dinge wurde ihr heilig, und ebenso der Tod, den sie sehr ernsthaft nimmt, ohne ihn zu fürchten.
    Sie gewöhnte sich, zu jeder Stunde an ihn zu denken, mitten in der heiteren Freude und im Glücksgefühl, und daß wir einst ohne allen Spaß und für immer abscheiden müssen. Das ganze vorübergehende Dasein unserer Persönlichkeit und ihr Begegnen mit den anderen vergänglichen, belebten und unbelebten Dingen, unser aufblitzendes und verschwindendes Tanzen im Weltlichte hat für sie einen zarten leichten Anhauch bald von milder Trauer, bald von zierlicher Fröhlichkeit, welche den Druck der schwerfälligen Ansprüche des einzelnen nicht aufkommen läßt, während das Gesamtwesen doch besteht. Und welche Pietät und Teilnahme hegt sie für die Sterbenden und Toten! Ihnen, welche ihren Lohn dahin haben und abziehen mußten, wie sie sagt, schmückt sie die Gräber, und es vergeht kein Tag, an welchem sie nicht eine Stunde auf dem Kirchhofe zubringt. Dieser ist ihr Lustgarten und ihr Schmollwinkel, und bald kehrt sie fröhlich und übermütig, bald still und nachdenklich davon zurück.«
    Solch anmutige Art eignete sich freilich einstweilen nur für ein so sorgloses, leidenfreies und feingebildetes Leben und für die gesunde Jugendkraft; dennoch vermehrte die Schilderung derselben meine Teilnahme und Befangenheit.
    »Glaubt sie denn auch nicht an Gott?« fragte ich.
    »Schulgerecht«, erwiderte der Graf, »sind allerdings beide Fragen unzertrennlich; nach Frauenart macht sie sich jedoch nicht viel aus der Logik, da sie hier mit ihren Begriffen nicht fertig ist. ›Du lieber Gott‹, sagt sie, ›was kann ich ärmstes Ding wissen! Bei Gott ist alles möglich, auch daß er existiert!‹ Weiter geht sie aber mit so drolligen Wendungen nicht, vielmehr verursacht ihr in Gespräch und Lektüre eine zu große Freiheit oder Frechheit im Ausdrucke nur Mißbehagen, und allzu grobe Ausfälle duldet sie nicht. Sie sehe nicht ein, sagt sie, warum man gegen den lieben Gott, auch wenn man von seiner Abwesenheit überzeugt sei und ihn nicht fürchte, brauche grob und unverschämt zu sein. Das erscheine ihr mehr als eine schäbige denn tapfere Manier.«
    Nach der Rückkehr von unserm Gange suchte ich mein idyllisches Quartier im Gartenhaus auf, wo ich mich zu lassen gebeten hatte, als ich nach dem Schlosse übersiedeln sollte. Ich fand jedoch das kleine Gemach bewohnt; denn Dorothea, die sich nach ihrer Übung wieder einmal im untern Saale aufgehalten, war mit der Gärtnerstochter hinaufgestiegen, um nachzusehen, ob es an nichts fehle. Als ich eintrat, sah ich, daß zwei prachtvolle hohe Schilfrohre mit ihren Blütenbüscheln kreuzweise hinter den Spiegel gesteckt waren Unter dem Spiegel, der in einem verblichenen Rahmen von versilbertem getriebenem Kupfer steckte, lag der Zwiehansschädel auf der Kommode, auf einem Postamente von grünem Moose weich gebettet, und um den Scheitel wand sich ein Kränzlein von Immergrün. Mit den Ellbogen auf das bauchig geschweifte Möbel gestützt, stand Röschen übergelehnt und betrachtete den Kopf aufmerksam mit gerümpftem Näschen und possierlich gespitztem Munde. Etwas zurück stand die Herrin, die Hände auf dem Rücken verschränkt, wie es schien in ernsthaften Gedanken das Werk ihrer Hände gleichfalls beschauend.
    »Bewundern Sie unsere Tapezierkünste!« wandte sie sich zu mir, »wir haben Ihrem stummen Reisekameraden den Aufenthalt etwas verschönert und Sie dabei mitgemeint. Soeben bedenke ich aber, daß Sie sich des Gefährten entledigen und ihm die Ruhe gönnen sollten. Wir wollen ihn gelegentlich auf unserm Gottesacker begraben, ich habe

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