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Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]

Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]

Titel: Der gruene Heinrich [Zweite Fassung] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gottfried Keller
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österreichischen Donau in einem unserer Stadthäuser ab, das die Geliebte gern und häufig bewohnt hatte. Als ich ins Haus ging, sah ich ein schönes zwei-bis dreijähriges Kind still auf der Steinbank neben dem Portale sitzen, ohne seiner zu achten. Ich ging nochmals aus, um das Abendrot über dem breiten Strome zu sehen, das die Verstorbene so oft aufgesucht; das Kind schlief nun. Als ich eine halbe Stunde später zurückkam, weinte es leise und furchtsam. Ich rief jetzt den Hausmeister herbei, der in seiner Teilnahmlosigkeit von nichts wissen wollte, als daß ein Haufen Auswanderer die Stadt durchschwärmt habe, denen das Kind wohl angehöre. Ich befahl, es ins Haus zu nehmen und zu pflegen, und da die Sache langsam und widerwillig vonstatten ging, nahm ich es zu mir und gab ihm von meinem eigenen Essen. Die Auswanderer waren allerdings dagewesen, aber schon auf Flößen und Schiffen die Donau hinuntergefahren. Laut den erhobenen polizeilichen Nachforschungen kamen sie aus Schwaben und gingen nach dem südlichen Rußland; allein weder in ihrer alten noch in der neuen Heimat wollte jemand etwas von dem Kinde wissen; nirgends wurde ein solches vermißt, nirgends war es in Büchern oder Schriften der Ausgewanderten eingetragen. Eine Bande Zigeuner, die in der Nähe der Stadt erschien, gab Anlaß zu neuen Untersuchungen. Aber auch da kam nichts heraus. Kurz, das Kind verblieb mir als Findelkind schönster Sorte, wie Sie's da vor sich sehen! Ich verschaffte ihm eine schöne gesicherte Findlingsexistenz, erklärte meine tote Frau zu seiner Patin und nannte es mit ihrem Namen Dorothea. Den Zunamen Schönfund ließ ich durch Amtsgewalt festsetzen, und als die Person sich später gar so gut anließ und ich sie an Kindesstatt in aller Form Rechtens adoptierte, ließ ich noch den hiesigen Orts-und Hausnamen dranhängen. So heißt sie nun Schönfund-W...berg. Zu einer Gräfin konnt ich sie freilich nicht machen, es ist auch nicht nötig!«
    »Bin ich nun mehr zu bemitleiden oder zu beneiden?« fragte mich das schöne Wesen mit leicht geneigtem Haupte.
    »Gewiß nur zu beneiden«, sagte ich, aus meiner gerührten Verwunderung erwachend; »Sie gleichen einfach einem Stern, der aus der Tiefe des Himmels neu erschienen ist und dem man einen Namen gegeben hat. Ein Stern kann aber wieder verschwinden, während die unsterbliche Seele, die jetzt Ihren Namen trägt, nie mehr vergeht.«
    Sie bewegte aber den Kopf leise wie zu einem Nein und sagte: »Mit diesem Troste wollen wir uns nicht stark brüsten! Der Findling wird sich so still wieder drücken, wie er gekommen ist!«
    Als ich diese Worte nicht recht zu deuten wußte, weil ich die eigene Rede, die sie hervorgerufen, über ihrem Anblicke schon vergessen hatte, sagte der Graf zu mir: »Sie müssen nämlich wissen, es ist Dortchens Wahrzeichen, daß sie ganz auf eigene Faust nicht an Unsterblichkeit glaubt, und zwar nicht etwa infolge eingeschulter Dinge oder durch fremden Einfluß, sondern auf ursprüngliche Weise, sozusagen von Kindsbeinen auf!«
    Dorothea schämte sich wie über ein verratenes Herzensgeheimnis; sie drückte das errötende Gesicht auf den Damast des Tischtuches, daß die Locken sich auf dessen Fläche ausbreiteten. Auf mich aber machte der Vorgang einen Eindruck, welcher dem uns befallenden sanften Schreck oder Schauder gleicht, wenn ein Wesen, das uns bereits mit Wohlgefallen umsponnen hat, mit irgendeiner entschiedenen Eigenschaft plötzlich dicht an die Seele herantritt.
    »Da ich nun ganz erkannt bin und durchschaut werde«, sagte sie unversehens, sich mit holdem Lächeln aufrichtend, »will ich mich zurückziehen und sorgen, daß wir einen traulichen Winkel für unsern Kaffee finden.«
    Als ich später den Grafen auf seinen Geschäftsgängen begleitete, da er die Hauptaufsicht über seine Güter selber führte, befrug ich ihn um das Nähere.
    »Es ist in der Tat so«, antwortete er, »seit sie ihr Urteil nur ein wenig rühren konnte und diese Dinge nennen hörte, wir wissen die Zeit kaum anzugeben, sagte sie mit aller Unbefangenheit, aus dem kindlichsten und reinsten Herzen heraus, daß sie gar nicht absehen und glauben könne, wie die Menschen unsterblich sein sollten. Es kommt allerdings nicht selten vor, daß rechtliche Leute aus allen Ständen dies ursprüngliche schlichte Vergänglichkeitsgefühl ohne weiteres aus der Mutter Natur schöpfen und, ohne skeptischer oder kritischer Art zu sein, dasselbe unbekümmert bewahren wie eine harmlose

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