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Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]

Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]

Titel: Der gruene Heinrich [Zweite Fassung] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gottfried Keller
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den Wänden vorhanden, das Gewölbe noch bemalt und nur der Fliesenboden längst von der Bestuhlung geräumt. Dafür stand jetzt in der Mitte desselben ein eiserner Ofen, der den Raum mit seinem Körper und seinen Rohren sattsam erwärmte, und auf einer großen Strohmatte eine Staffelei, vor welcher ich saß und ziemlich rührig arbeitete, während ein leichter Schnee auf der Landschaft lag.
    Die lange Unterbrechung, die Erlebnisse, der Beschluß der Entsagung hatten ohne Zweifel eine Freiheit des Blickes und eine Neuheit der Dinge in mir bewirkt oder vielmehr aus dem Schlafe gerufen, die mir jetzt zustatten kamen. Schon während des letzten Aufenthaltes in der Residenz hatte ich alte und neue Bilder gewissermaßen mit neuen Augen angesehen; es war mir wie Schuppen von denselben gefallen und fiel so noch fort, da ich jetzt eifrig und kühl, stürmisch, sorglos und vorsichtig zugleich arbeitete, indem bei jedem Zug ich an den folgenden dachte, ohne durch Zögern den Fluß erstarren zu lassen. Die Erscheinung, daß man später etwas kann, und zwar ohne Zwischenübung, was man früher nicht zustande gebracht, sei es durch bloße Ruhe der Geisteskräfte, sei es durch Geschickeswechsel, mag wohl öfter vorkommen, als man annimmt. Hier war es der Fall, natürlich innerhalb der Grenzen, die mir überhaupt gezogen sind.
    Ich hatte zwei Bilder zugleich begonnen, welche auf diese Weise ordentlich vorwärtsschritten, von einer nachhaltig erhellten und erwärmten Stimmung getragen. Das eigentliche schaffende Feuer jedoch war die erwachte Neigung, Liebe oder Verliebtheit, oder wie man den Zustand nennen mag, der erst zu nennen, wenn er durch die Zeit zum Austrag gekommen, stets aber eine alltägliche Erscheinung ist, wie alle großen Notwendigkeiten. Ich hatte meinerzeit das Herz auch einen Muskel und ein mechanisches Pumpwerk nennen gelernt; nun unterlag ich dennoch der Täuschung, daß es das Wohnhaus der Bewegungen sei, die von den Liebeshändeln ausgehen; und trotz der üblichen Scherze über seine heraldische Form auf den Lebkuchen, Spielkarten und andern Volkssymbolen behauptete es sein altes Ansehen, als Dorotheas Gestalt mit dem Nimbus ihrer dunklen Geburt, ihrer eigentümlichen Weltanschauung, Schönheit und Bildung den Einzug scheinbar in das Herz und nicht in den Kopf hielt; oder wenigstens verrichtete dieser in seinen offenen Licht-und Schallstübchen einen bloßen Pförtner und Wahrnehmungsdienst, um das Wahrgenommene in die dunkle Purpurmühle der Leidenschaft hinunterzusenden.
    Selbst die Vernunft leistete ihr Frondienste und tat ein übriges, ihr gerecht zu werden. Die Vergänglichkeit und Unwiederbringlichkeit des Lebens, durch Dortchens Augen gesehen, ließ mir die Welt bald ebenso in einem stärkern und tiefern Glanze erscheinen, wie es bei ihr der Fall war; ein sehnsüchtiges Glücksgefühl durchschauerte mich, wenn ich mir nur die Möglichkeit dachte, für das kurze Leben mit ihr in dieser schönen Welt zusammen zu sein. Ich hörte daher ohne alle Bedenklichkeit vom Sein oder Nichtsein jener Dinge sprechen und fühlte ohne Freude oder Schmerz, ohne Spott und ohne Schwere die anerzogenen Gedanken von Gott und Unsterblichkeit sich in mir lösen und beweglich werden. Die Veranlassung solcher Freiheit war allerdings eine Unfreiheit und für einen Mann nicht gerade rühmlich; im Gefühle hievon suchte ich mich mit Gründen zu schulen und nahm die Zuflucht zu der Bücherei des Grafen. Ich kannte die groben Umrisse der philosophischen Geschichte, aus denen die letzten Fragen für den Unerfahrenen nicht klar hervorgehen. Jetzt griff ich zu den eben in der Verbreitung begriffenen Werken des lebenden Philosophen, der nur diese Fragen in seiner klassisch monotonen, aber leidenschaftlichen Sprache, dem allgemeinen Verständnisse zugänglich, um und um wendete und gleich einem Zaubervogel, der im einsamen Busche sitzt, den Gott aus der Brust von Tausenden hinwegsang.
    Der Graf gehörte geistig und zum Teil auch persönlich dem Verbande von Männern an, welche den begeisterten Kultus des Philosophen förderten, wenn er auch nicht die Ansicht und die Hoffnung teilte, daß er zunächst die politische Freiheit unfehlbar bringen müsse. Er hatte mich als Gastfreund nicht auf die Sache stoßen wollen; als ich aber jetzt den gewöhnlichen Anfangswiderstand gegen die neuen Einflüsse erhob und die Veränderungen untersuchte, welchen ich in moralischer Hinsicht ausgesetzt sein dürfte, begann ein gewisses Kannegießern über den

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