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Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]

Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]

Titel: Der gruene Heinrich [Zweite Fassung] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gottfried Keller
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Graf, »erwartest du Gäste, von denen ich nichts weiß?«
    »Nichts weiter hab ich vor«, erwiderte sie, »als daß ich dem schönen Wetter und dem Saale zu Ehren ein bißchen Staat machen will. Dazu hoff ich, durch das Ensemble aller dieser Dinge unserm Freunde, dem Herren Lee, einen bunten Eindruck zu verschaffen; vielleicht, wenn er seine Geschichten fortsetzt, beschreibt er es einst auf einer halben Seite, und mit dem Saale schmuggelt sich meine fragwürdige Figur zugleich in das Buch hinein! Heut steht überdies Narzissus im katholischen und im protestantischen Kalender, und da dürfen wir uns allerseits ein wenig der Eitelkeit hingeben, nicht so, Herr Heinrich?«
    Obgleich sie diese Rede in einer halb weichmütig ernsten, halb anmutig lächelnden Weise vorbrachte, welche keine bösliche Absicht verriet, so schien mir doch das Wort Narziß eine Stichelei auf die Selbstbespiegelung meines Schreibbuches zu sein, zumal mir nicht recht wohl dabei war, es aus der Hand gegeben zu haben. Aus welcher Tiefe, sei es des Urteils oder des bloßen Scherzes, solche Stichelei aufsteigen mochte, sie dünkte mich gleichermaßen beschämend, und ich fühlte die Röte im Gesicht, ohne ein Wort der Erwiderung zu finden. Sie beachtete das aber nicht und merkte nichts davon, so daß ich ihr wohl zuviel Absicht zugetraut haben mochte.
    Der erwähnte Saal war wirklich bunt genug, aber mit Würde und Feierlichkeit. Ein scharlachroter Teppich spannte sich über den ganzen Fußboden; der Plafond war in seiner Länge und Breite von einem einzigen Freskogemälde bedeckt, der Wandraum zwischen demselben und der etwa mannshohen dunklen Holzbekleidung durchaus mit den Bildnissen der Vorfahren behangen. Über einem schwarzen Marmorkamine türmten sich alte Waffen und Rüstungen empor; andere feinere Waffen glänzten in Glasschränken, besonders kostbare Degen und Schwerter, deren Abbilder man auf manchem Bildnisse ihrer ehemaligen Träger wiedererkannte. Aber es waren auch Waffenstücke aus Jahrhunderten da, in welche keine Bilder zurückreichten. So zeigte ein kleiner dreieckiger Schild noch kaum erkennbar das älteste einfache Wappenbild des Geschlechtes, das nur eines von den zwanzig Feldern des jetzigen Wappenschildes ist, auf dessen oberm Rande vier gekrönte Helme sitzen wie vier Hähne auf einer Stange.
    Ich konnte mich nicht enthalten, eifrig umherzugehen und die Augen an all den schönen Dingen zu weiden; der Graf erklärte mir ein und anderes, Dorothea brachte Schlüssel herbei und öffnete die wohlverwahrten Schränklein eines großen Buffets, in welchen ein altertümlicher Silberschatz schimmerte. Andere Schränke waren in das Holzgetäfer der Wände eingelassen und enthielten Handschriften auf Pergament mit glänzenden Miniaturen, viele Urkunden mit hängenden Siegeln in Holz-oder Silberkapseln, auch ohne Kapseln und halb zerbröckelt. Der Graf zog ein paar solcher Urkunden hervor und entfaltete sie; ich konnte sie aber nicht lesen, denn sie stammten aus dem zwölften oder gar eilften Jahrhundert und waren kaiserliche Briefe, die sich auf den Fleck Landes bezogen, auf welchem wir standen. Als ich meine Verwunderung über so reiche Erinnerungen und Denkmäler bezeugte, dergleichen ich noch nie gesehen, bemerkte der Graf, er habe eben den ganzen Familienkram in diesem Saale aufgestapelt, wo derselbe sein Dasein genießen möge, ohne die Lebenden auf Schritt und Tritt zu behelligen. Seine Freude daran sei nur eine mäßige und nicht größer, als sie etwa jeder Sammler auch empfinde.
    »Ei«, sagte ich, »solche Anschaulichkeit und Durchsichtigkeit einer langen Vergangenheit, die sich auf uns selbst bezieht, läßt sich doch nicht willkürlich vergessen und verwischen, und man sollte sich ihrer freuen können, ohne sie unfreisinnig zu mißbrauchen!«
    »Man sollte es denken; wer aber die Erfahrung davon hat, weiß, daß man unter Umständen der sechs oder sieben Jahrhunderte müde werden kann. Ich habe mir auch schon gewünscht, in einem freien Rechtsstaate einer erhaltenden Aristokratie anzugehören vermöge der Abkunft, das Wort Aristokratie natürlich nur im Sinne erhöhter freiwilliger Leistungen verstanden. Allein das sind Träume, aus verschiedenen Gründen, und so bleibt einem Adelsmüden nur der Ausweg, gelegentlich im allgemeinen Volkstume aufzugehen. Das hat aber auch seine Schwierigkeiten und ist ohne glückliche Ereignisse nicht so leicht auszuführen, und so läßt sich auch hier das Schicksal weniger lenken, als man

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