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Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]

Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]

Titel: Der gruene Heinrich [Zweite Fassung] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gottfried Keller
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glauben sollte. Mein Vater, der lediglich durch seine Geburt ein Reiterfahrer war, ist in der Heeresfolge des französischen Revolutionswesens in Rußland elend ums Leben gekommen. Mein älterer Bruder, der für einen Querkopf galt, ging nach Südamerika, um in seiner Art ein neues Leben zu beginnen; allein da fiel er erst recht dem unvernünftigen Zufall anheim und verlor frühzeitig in dortigen Händeln das Leben. Von einer iberischen Adelsdame, mit der er sich kurz vorher ehelich verbunden haben soll, ist uns niemals eine weitere Nachricht zugekommen. Nun bin ich der Majoratsherr, und die ganze Herrlichkeit steht auf meinen zwei Augen, da ich absolut der Letzte unserer Linie bin. Hätte ich einen Sohn, so wäre ich schon mit ihm nach der Neuen Welt gegangen, um in der verjüngenden Volksflut unterzutauchen.
    Für mich allein lohnt es nicht mehr der Mühe, sintemal ich im übrigen mich mit dem Leben nicht unzufrieden fühle! Doch setzen wir uns zu Tisch, da es unserer Dame einmal gefällt, die Ahnfrau zu spielen!«
    »Das tu ich! Mir gefällt es einstweilen recht wohl in diesem Saale, der nicht zu unterschätzen ist!« ließ sich Dorothea mit einiger Gemessenheit vernehmen, die mich wieder verlegen machte, weil ich diese neue Laune nicht verstand und sie weder tadeln noch bewundern konnte. Indessen war der Aufenthalt in der Tat feierlich sowohl durch die hereinflutende sonnige Luft als durch den Duft eines feinen Räucherwerkes, das vorher in dem Raume verbrannt worden war. Die Farbenpracht, die uns umgab, schien hiedurch noch an Kraft und Tiefe zu gewinnen.
    Nachdem wir eine Weile in mehr abgebrochener flüchtiger Unterhaltung gesessen, wendete sich Dorothea mit freundlich herablassendem, jedoch halb gleichgültigem Wesen, ganz wie eine große Dame, an mich und sagte: »Nun, Herr Lee, auch Sie sind ja nicht unempfindlich für ein gutes Herkommen, und in Ihrem bürgerlichen Stande freuen Sie sich Ihrer wackeren Eltern und versichern sich beim Beginn Ihrer Aufzeichnungen, daß Sie wohl auch zweiunddreißig brave Ahnen besitzen, wenn auch unbekannterweise?«
    »Allerdings«, gab ich mit Selbstzufriedenheit und gelindem Trotze zur Antwort, »allerdings bin ich auch nicht auf der Straße gefunden!«
    Da klatschte sie plötzlich jubelnd in die Hände, indem sie ihre gewöhnliche natürliche Art wieder aufnahm, und rief fröhlich: »Nun hab ich Sie gefangen, mein wohlgeborner Herr! Ich bin nämlich auf der Straße gefunden, wie Sie mich da sehen!«
    Ich sah sie verblüfft an und wußte nicht, was das heißen sollte, indessen sie fortfuhr, sich zu freuen, und sagte: »Ja, ja, mein gestrenger Herr von braver Abkunft! Ich bin das richtigste Findelkind und heiße mit Namen Dortchen Schönfund und nicht anders, so hat mich mein lieber Pflegevater getauft!«
    Nun blickte ich verwundert den Grafen an, der lachte: »Ist das also nun das Ziel deines Witzes? Wir mußten nämlich dieser Tage lachen, als wir Ihre Worte lasen: wenn Sie sich selbst bei der Nase nehmen, so seien Sie sattsam überzeugt, daß Sie zweiunddreißig Ahnen besitzen. Als wir dann weiterlasen, wie Sie sich doch nicht enthalten können, über die Vorfahren einige Betrachtungen anzustellen, schmollte unser Kind hier und klagte, daß alle, Adelige wie Bürger und Bauern, sich ihrer Abkunft freuen und nur sie allein sich schämen müsse und gar keine Herkunft habe. Denn ich habe sie wirklich auf der Straße gefunden, und sie ist meine brave und kluge Pflegetochter!«
    Er strich ihr liebevoll die Locken zurück, die aus ihrer Verbannung im wohlgebauten Nacken an den gebührenden Platz neben den errötenden Wangen zurückstrebten. Betroffen und gerührt bat ich um Verzeihung für die unbewußte Verletzung ihrer Gefühle, die ich begangen. Meine eigene Beschämung, fügte ich bei, habe ich verdient, da ich mich verlocken ließ, die vermeintliche stolze Gräfin abtrumpfen zu wollen, anstatt sie in ihrer Art und Weise ungeschoren zu lassen. Übrigens sei ihr Herkommen doch noch das vornehmste, denn sie komme so recht unmittelbar aus Gottes Hand, und man könne sich ja die höchsten und wunderbarsten Dinge darunter denken!
    »Nein«, versetzte der Graf, »wir wollen keine verwunschene Prinzessin aus ihr machen. Der einfache Hergang ist übrigens hier jedermann bekannt, und was jedes Kind weiß, dürfen Sie auch erfahren. Vor zwanzig Jahren, als meine Frau, die einzige, gestorben war, trieb ich mich schmerzlich und trostlos im Lande herum. Eines Abends stieg ich an der

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