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Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]

Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]

Titel: Der gruene Heinrich [Zweite Fassung] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gottfried Keller
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Leuchter zur Hand nehmend, aus dem Saale, und ich hatte dem lieblichen Tun durch eines der hohen Fenster zugeschaut, freilich von den Florbehängen desselben halb verhüllt.
    Die vergnügliche Stimme des Kaplans ließ sich hören; ich säumte nicht, über die Terrassenstufen hinunter-und ihm entgegenzugehen, und betrat in seiner Gesellschaft wieder das Haus und die Räume, in welchen die Abende zugebracht wurden. Mit diesem künstlichen Umwege verhütete ich, daß Dortchen irgendwie ahnen könne, ich wisse das sonderbare Geheimnis ihres Körbchens. Als wir nun zu viert am Tische saßen, verlief die Zeit mir nur allzu schnell; denn die Eigenliebe erfreute sich an dem Wohlwollen, welches meine Person zum Gegenstande der letzten Unterhaltung machte, und die Gewißheit, daß ich wirklich zum letzten Male Dortchens Gegenwart genieße, verkürzte die Stunden um das Doppelte. Der Graf meinte, er habe sich an meine Gesellschaft gewöhnt, und wenn es sich nur um ihn handelte, so ließe er mich noch lange nicht ziehen; der Kaplan aber rief nein, ich müsse gehen, damit ich, was er sicher hoffe, durch die Luftveränderung und in meinem schönen Vaterlande die verlorenen Ideale wiederfinde.
    Lachend versetzte ich, nach gewissen Weissagungen meiner Träume werde ich jedenfalls zu neuen Ideen kommen, und ich erzählte von der kristallenen Treppe, in deren Stufen die Ideen in Gestalt kleiner Frauensleutchen schliefen.
    Der Kaplan wunderte sich hierüber und guckte mich immer verdutzter an, als ich fortfuhr, jene Ausgeburten des Schlafes in unglücklicher Zeit zu schildern; denn hiemit bewies ich ihm, daß ich im Schlafe noch toller, das heißt idealischer sein könne nach seinen Begriffen als er im Wachen. Ich erzählte von der Brücke der Identität, von dem Goldregen, den ich auf dem fliegenden Pferde gemacht, und wie ich über das Kirchendach heruntergepurzelt und endlich in Trübseligkeit vor dem mütterlichen Hause gestanden sei, nachdem mir dasselbe erst wunderbar in die Augen geglänzt habe.
    Da ich von dem feurigen Extraweine, welchen wir tranken, etwas vorlauter Laune geworden, schmückte ich diese Dinge noch mit manchen Zutaten und Hirngespinsten aus und endigte zuletzt wie ein Märchenerzähler, der dem Volke seinen blauen Dunst vorgemacht.
    »Der hat ja ein Maul wie eine laufende Schuld!« sagte der Kaplan, in seiner Verwirrung über die großartige Flunkerei zu dem gröblichen Volksausdrucke greifend; denn ich schien ihm arg ins Handwerk gepfuscht zu haben, indem ich ein wirklich Erlebtes schilderte, das doch ein Nichts, ein Traum war; der Graf sagte: »Diese Beredsamkeit haben wir allerdings bisher an unserm Freunde nicht entdecken können! Ist es aber nun geschehen, so hindert mich nichts, mir zu denken, daß ich sie eines Tages zu ernsteren Dingen verwendet sehe. Wir wollen auf unser aller gute Zukunft anstoßen!«
    Er schenkte die Gläser voll, und wir ließen dieselben zusammenklingen, ohne daß ich mich jedoch bemühte, über den Sinn seiner Worte klarzuwerden; denn ich sah unversehens Dorothea mit dem rosengeschmückten Körbchen herankommen.
    »Auch ich will einen Spruch tun«, sagte sie, als sie mir zur Seite stand; »aber ich überlasse die Abfassung dem Zufall dieses wohlbekannten Orakelkorbes; nehmen Sie sich ein Bonbon heraus, nur eines, aber vorsichtig und bedächtig!«
    Ich sah erstaunt und fragend zu ihr auf; denn ich wußte ja, daß in jedem der zierlichen Paketchen der gleiche Spruch lag.
    »Welches raten Sie mir denn zu nehmen?« fragte ich mit innerer Bewegung; allein gleichmütig erwiderte sie: »Ich darf mich nicht dareinmischen, wenn das Orakel wirken soll!«
    »Soll ich dieses nehmen?«
    »Ich weiß nicht!«
    »Oder dieses?«
    »Ich sage nichts, weder ja noch nein!«
    »So nehm ich dieses und bedanke mich schönstens!« rief ich, indem ich das Papierchen öffnete und Dortchen rasch das Körbchen zurückzog.
    »Nun, was steht darin?« rief der Kaplan, über welche Frage ich froh war, da ich die Verse kaum vernehmbar vorzutragen vermochte. Ich gab ihm den Zettel mit der Bitte, denselben selbst zu lesen. Das tat er mit gutem Ausdruck.
    »Ein ganz schöner Spruch!« sagte er; »damit können Sie zufrieden sein; er beruht auf einer frommen und getreuen Weltanschauung, dergleichen nicht mehr allzu häufig ist! Aber nun, Gnädigste! reichen Sie mir das Körbchen auch dar, und lassen Sie mich sehen, was ich als Dableibender erhalten werde!«
    Er griff begierig nach dem Körbchen. Sie versetzte aber:

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