Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]
abscheiden muß, und hiemit behüt Dich Gott, mein Männchen!«
»Es ist doch gut«, sagte ich mit neuer Verwunderung, »daß es für alle Gebarungen zweierlei Richter gibt! Was andere mir als Leichtsinn, wo nicht Verkommenheit auslegen würden, erhält von dem braven Alten einen Tugendpreis!«
»Drum wollen wir auf seine Seligkeit anstoßen, weil er so gerecht gerichtet hat!« erwiderte der Graf wohlgemut; »und jetzt wollen wir unsere Freundschaft leben lassen und Brüderschaft trinken, wenn es Ihnen recht ist!«
fuhr er fort, indem er die Gläser von neuem füllte.
Ich stieß an und trank aus, sah dabei aber so überrascht und verschüchtert drein, daß er es wohl bemerkte, als er mir die Hand schüttelte; denn der Unterschied des Alters und der Lebensverhältnisse hatten mich dergleichen doch nicht erwarten lassen.
»Sei nur nicht verdutzt, wenn es gilt, sich zu duzen!« sagte er fröhlich; »ich betrachte es als Gewinn, mit einem Stammesbruder aus anderer Staatsform und von jüngerm Lebensalter auf du und du zu sein. Und auch du darfst dich der guten deutschen Sitte füglich unterwerfen, nach welcher zuzeiten Jünglinge, Männer und Greise, welche auf dasselbe Ziel losgehen, Brüderschaft schließen. Nun aber wollen wir von dir allein reden! Was gedenkst du zu beginnen in deinem Lande?«
»Ich denke meine unterbrochenen Studien am borghesischen Fechter wieder aufzunehmen!« antwortete ich. Auf seine Frage, was das heiße, erzählte ich kurz, wie ich durch die so genannte Figur auf das Studium des Menschen hinübergeleitet worden sei und nun zwar nicht mehr dessen Gestalt, sondern dessen lebendiges Wesen und Zusammensein zum Berufe wählen möchte. Da mir jetzt Zeit und Mittel durch das Glück gegeben seien, so hoffe ich auf rasche und zweckmäßige Weise noch die nötigen Kenntnisse nachzuholen, um mich dem öffentlichen Dienste widmen zu können.
»So was habe ich mir auch gedacht«, sagte der gräfliche Duzbruder; »allein wie die Dinge einmal stehen, würde ich mit besondern Studien keine Zeit mehr verlieren, zumal ihr ja keine Hierarchie mit Zwangsfolge habt. An deiner Stelle würde ich mich ruhig erst ein wenig umsehen und dann, nötigenfalls als Freiwilliger, ein unteres Amt übernehmen und schwimmen lernen, indem du sofort ins Wasser springst. Machst du es zur Regel, jeden Tag daneben einige Stunden staatswissenschaftliche Sachen zu lesen und zu überdenken, so bist du in wenig Zeit ein praktischer und hinlänglich gebildeter Amtsmann zugleich, und die Unterschiede der Schulweisheit gleichen sich mit den wachsenden Jahren vollständig aus, während das hervorzutreten beginnt, was den eigentlichen Mann ausmacht. Das Gerichtswesen, und was daran hängt, würde ich freilich den gründlich geschulten Juristen überlassen und dahin wirken, daß auch die andern es tun. Die Hauptsache ist, daß du später in der Gesetzgebung weißt, wo sie hingehören und wo ihnen das Wort zu geben ist, und daß du sie in Ehren hältst, solange sie das Recht lebendig machen und nicht es töten und das Volk verderben. Am wenigsten dulde feige Richter im Land, sondern stürze sie und gib sie der Verachtung preis –«
»Halt, Grave!« rief ich, da er sich in lauten Eifer hineinzureden begann und meine gegenwärtige Sache vergaß; »noch bin ich weder Konsul noch Tribun!«
»Gleichviel!« rief er jetzt noch viel lauter; »hast du aber gleichzeitig einen feigen und einen ungerechten Richter nebeneinander, so laß beiden die Köpfe abschlagen, und dann setze dem ungerechten den Kopf des feigen und dem feigen den Kopf des ungerechten auf! So sollen sie weiter richten, so gut sie können!«
Erst jetzt schwieg er, trank und sagte wieder: »Ungefähr so mein ich's, du wirst mich wohl verstehen!«
Ich hatte den sonst so ruhigen Mann nie so aufgeregt gesehen; die bloße Vorstellung, daß ich unmittelbar in eine Republik gehe und mich an deren öffentlichem Leben beteiligen werde, schien ihm andere verwandte Vorstellungen und alte Leiden der Unzufriedenheit zu erwecken.
Indessen war die Stunde des Abschiedes endlich da und kein Grund des Aufschubes mehr vorhanden. Da er meine Angelegenheit geordnet und mich reisefertig sah, fuhr der Graf gleich nach Tisch weg, um sein Gut am gleichen Tage noch zu erreichen, während ich den Bahnhof suchte, der um diese Zeit zum ersten Mal eröffnet worden. Denn einige Bruchstücke von Eisenstraßen des obern Deutschlands hatten ihren ersten Zusammenhang erhalten, und ich konnte auf dem neuen
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