Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]
abzuspinnen begann, benutzte ich die Gelegenheit, grüßte und entfernte mich, um mein volles Herz hinauszuflüchten. Dortchen sah mir nach und rief mir zu, ich möge doch nicht zu spät im Schlosse erscheinen.
Nach einigem Herumstreifen gelangte ich an die Stelle, wo ich bei meiner Ankunft aus dem Walde herausgetreten war und die abendliche Regenlandschaft mit dem Gute und der alten Kirche erblickt hatte. Ich ging auf die Kirche zu und in dieselbe hinein, und da ein altes Mütterchen darin kniete und ihr Gebet murmelte, schlich ich hinter ihr weg in eine Art Krypta, welche den ältesten Teil des Gebäudes und einen halbdunklen Raum bildete, dessen romanische Fenster zur Hälfte vermauert waren. In diesem Raum waren im Laufe der Zeit eine Menge Gegenstände untergebracht worden, die ihn verengten.
Vorzüglich tat dies ein Grabmal von schwarzem Kalkstein, auf welchem ein langer Ritter ausgestreckt lag, die Hände auf der Brust gefaltet. An seiner Seite, auf dem Rande des Sarkophages, stand eine fest verschlossene und verlötete Büchse von Bronze in Form einer kleinen Urne, zierlich gegossen und ziseliert und mit einer schlanken Kette vom nämlichen Metall an dem Brustharnisch des steinernen Ritters befestigt. Nach der Überlieferung enthielt die Büchse das einbalsamierte und vertrocknete Herz des Beigesetzten, und das Gefäß wie die Kette war gänzlich oxydiert und schillerte grünlich im Zwielicht der Krypta. Das Grabmal aber gehörte einem burgundischen Ritter an, der gegen Ende des fünfzehnten Jahrhunderts, von wilder und unsteter, aber ehrlicher Natur, von allerhand Unstern und Frauenmißhandlung verfolgt, durch die Länder geirrt war und bei den Vorfahren des Grafen hier seine letzte Zuflucht gefunden hatte, wo das Herz dann endlich an einem letzten Verrate gebrochen sein sollte.
Das Grabmal hatte er sich selbst gestiftet und den einsamen Platz dazu ausgebeten; die Gruft des gräflichen Geschlechtes war schon damals in die größere Kirche verlegt worden. An das Herz in der Büchse knüpften sich verschiedene Sagen, die vom Volke erzählt wurden, wie zum Beispiele der »verliebt Burgauner« verordnet habe, sein Herz solle so lang auf seinem Grab angebunden bleiben, bis lebendig oder tot eine gewisse Dame komme und es in das Vaterland heimhole, und geschehe es nicht, so sollte sie sowenig die ewige Ruhe finden, als er sie zu finden hoffe; ein jedes andere Weibsstück aber, so die Büchse mit dem Herzen in die Hand zu nehmen sich erdreiste, soll gehalten sein, dieselbe dreimal zu küssen und drei Vaterunser zu beten, sonst werde der verliebt Burgauner ihr die Hand lahm machen oder ein Knie brechen und dergleichen. Solche Überlieferungen mochten auch bewirkt haben, daß die Kapsel samt der Kette sich so lange Zeit an Ort und Stelle erhalten hatte.
Dem romantischen Denkmale gegenüber saß ich in einem dunklen Winkel zwischen ausgedienten Tabernakeln und Prozessionsgerätschaften und überließ mich den Gedanken über die bevorstehende Trennung, die um so trauriger waren, als ich in dieser letzten Stunde mir sagen mußte, bei aller Abenteuerlichkeit des Erlebten werde das Glück schwerlich so weit gehen, mir auch noch mit einer Eroberung so glänzender Art aufzuwarten, wie sie mir im Sinne lag. Zu dieser planen Einsicht drängte mich die Not des entscheidenden Augenblickes, und hiezu gesellte sich die Beschämung Über die kindische Art, in die ich verfallen, sofort nach dem Glänzenden zu greifen. Mit solchen Gefühlen ringend, suchte sich dann die versöhnte Neigung, die, nichts für sich hoffend, nur dem Geliebten zugetan sein will, emporzuarbeiten, soweit sie nicht auch wieder eine verkleidete Begehrlichkeit war; kurz, ich brachte dergestalt die Zeit in der Dämmerung der Krypta zu, bis ich von der äußeren Kirche her ein Getrippel leichter Schritte und zugleich weibliche Stimmen vernahm. Aufhorchend erkannte ich sie als Dorotheas und Röschens Stimmen.
Die Mädchen schienen diesmal nicht zu lachen, sondern angelegentlich etwas zu beraten. Doch bald dauerte ihnen der Ernst zu lang; denn sie kamen über die paar Stufen herunter in die Krypta gehuscht, und Dorothea rief: »Komm, Röschen, wir wollen wieder einmal den verliebten Ritter besehen!«
Sie stellten sich vor das Grabmal und schauten dem steinernen Manne neugierig in das dunkle ehrliche Gesicht.
»O Gott! ich fürchte mich«, flüsterte Röschen und wollte entfliehen.
Dortchen aber hielt jene fest und sagte laut: »Warum denn, Närrchen? Der
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