Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]
»Ei, ei, was ist das für ein Bleichschnabel, für ein Milchgesicht? Warte, du sollst nicht mehr fort, bis du so rote Backen hast wie dein seliger Vater! Wie geht's der Mutter, was ist das, warum kommt sie nicht mit?« Sogleich richtete sie mir an der Tafel ein vorläufiges Mahl zu und schob mich, als ich zögerte, ohne weiteres auf den Stuhl und befahl mir, stracks zu essen und zu trinken.
Indessen näherte sich Geräusch dem Hause, der hohe Garbenwagen schwankte unter den Nußbäumen heran, daß er die untersten Äste streifte, die Söhne und Töchter mit einer Menge anderer Schnitter und Schnitterinnen gingen nebenher unter Gelächter und Gesang; der Oheim, seine Flinte reinigend, schrie ihnen zu, ich wäre da, und bald fand ich mich mitten im fröhlichen Getümmel. Erst spät in der Nacht legte ich mich zu Bette bei offenem Fenster; das Wasser rauschte dicht unter demselben, jenseits klapperte eine Mühle, ein majestätisches Gewitter zog durch das Tal, der Regen klang wie Musik und der Wind in den Forsten der nahen Berge wie Gesang; und die kühle erfrischende Luft atmend, schlief ich sozusagen an der Brust der gewaltigen Natur ein.
Achtzehntes Kapitel
Die Sippschaft
Am frühen Morgen, als Sonnenglanz durch das Laubwerk ins Zimmer drang, wurde ich auf eigentümliche Weise geweckt. Ein junger Edelmarder mit zartem Pelze saß auf meiner Brust und beschnüffelte mit den feinen hastigen Atemstößen seiner spitzen kühlen Schnauze meine Nase und huschte, als ich die Augen aufschlug, unter die Bettdecke, blinzelte da und dort hervor und versteckte sich wieder. Als ich aus dieser Erscheinung nicht klug wurde, brachen meine jungen Vettern aus ihrer Schlafkammer, in welcher sie gelauscht hatten, lachend hervor, veranlaßten das behende Tier zu den anmutigsten und possierlichsten Sprüngen und erfüllten das Zimmer mit Fröhlichkeit. Dadurch herangelockt, drang eine Meute schöner Hunde her ein, ein zahmes Reh erschien neugierig unter der Tür, eine prachtvolle graue Katze folgte und schmiegte sich durch das Getümmel, die spielenden und zutäppischen Hunde würdevoll ab weisend; Tauben saßen auf dem Fenster, Menschen und Tiere, die ersteren kaum halb angezogen, jagten sich durcheinander. Alle aber hielt der kluge Marder zum besten und schien viel eher mit uns zu spielen als wir mit ihm. Nun erschien auch der Oheim mit dem rauchenden Waldhörnchen, uns eher noch zu Unfug anspornend als abwehrend; seine frisch blühenden Töchter folgten ihm, um nach der Ursache des Geräusches zu sehen und uns zu Frühstück und Ordnung zu rufen, mußten sich aber bald ihrer Haut wehren, da ein Krieg allgemeiner Neckerei sich gegen sie entspann, an dem sogar die Hunde teilnahmen, welche sich die Parole der erlaubten Ausgelassenheit am frühen Morgen nicht zweimal geben ließen, sondern sich tapfer an die starken Kleidersäume der scheltenden Mädchen hingen. Ich saß an dem offenen Fenster und atmete die balsamische Morgenluft; die glitzernden Wellen des raschen Flüßchens flimmerten wider an der weißen Zimmerdecke, und ihr Reflex überstrahlte das Angesicht jenes seltsamen Kindes Meret, dessen altertümliches Bild an der Wand hing. Es schien unter dem Wechseln des spielenden Silberscheines zu leben und vermehrte den Eindruck, den alles auf mich machte. Dicht unter dem Fenster wurde Vieh getränkt, Kühe, Ochsen, junge Rinder, Pferde und Ziegen gingen in der Mitte des klaren Wassers, tranken in bedächtigen Zügen und sprangen mutwillig davon; das ganze Tal war lebendig und glänzte vor Frische, und sein Rauschen vermischte sich mit dem Gelächter in meinem Zimmer; ich fühlte mich glücklicher als ein junger Fürst, bei welchem glänzendes Lever gehalten wird. Endlich erschien die Muhme und befahl uns ohne Widerstand zum Frühstück.
Ich sah mich wieder an den langen Tisch versetzt, um welchen die zahlreiche Familie mit ihren Schützlingen und Tagewerkern versammelt war.
Letztere kamen schon von mehrstündiger Arbeit und erholten sich von der ersten leichten Müde, von der erstarkten Sonne als Morgengruß gesendet.
Alles aß kräftige Hafersuppe, in welche reichlich Milch gegossen wurde; nur am obern Ende, zwischen Vater, Mutter und der ältesten Tochter, herrschte die Kaffeetasse, und ich, als Gast diesem vornehmen Anhängsel beigefügt, sah mit Neid in die frische Suppenregion hinüber, wo fröhliche Späße getauscht wurden. Doch bald brach die Gesellschaft wieder auf, um zur Arbeit auf dem fernen heißen Felde oder in
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