Der grüne Strahl
festgesetzt; die Stelle für den Landaufenthalt gewählt. In den Journalen der vornehmen Welt las man sicher am nächsten Tage unter der Rubrik »Ortsveränderungen und Villeggiaturen« die Namen der beiden Brüder Melvill und der Miß Campbell als abgereist nach Oban. Doch auf welche Weise sollte diese Ortsveränderung vor sich gehen? Diese Frage harrte noch der Lösung.
Zwei verschiedene Wege bieten sich, nach jener kleinen Stadt zu gelangen, welche an der Meerenge von Mull einige hundert Meilen nordöstlich von Glasgow liegt.
Der eine ist ein Landweg. Man fährt nach Bowling, berührt nachher, über Dumbarton längs des rechten Ufers des Leven, Balloch am Ende des Lomond, überschreitet diesen herrlichsten See Schottlands mit seinen dreißig Inseln zwischen dessen historischen Gestaden, an welchen sich, im Lande Rob Roy’s und Robert Bruce’s, das Andenken der Mac-Gregor und der Mac-Farlane knüpft; von hier aus kommt man nach Dalmaly und endlich gelangt der entzückte Tourist auf einer Straße, welche die Bergabhänge umkreist, oft nahe der Küste verläuft, über Wasserfälle und Fjorde quer durch die Vorläufer der Grampianberge hinführt und dabei sich durch Thäler hinschlängelt, welche von Eichen, Lärchenbäumen und Weiden erfüllt sind, hinunter nach Oban, dessen Uferland sich getrost mit den schönsten Küstenpunkten des Atlantischen Oceans messen kann.
Das Ganze ist ein herrlicher Ausflug, den jeder Reisende in Schottland gemacht hat oder doch machen sollte; einen Meereshorizont bietet er freilich in seinem Verlaufe nirgends. Die Brüder Melvill, welche diesen Weg Miß Campbell vorschlugen, erfuhren deshalb auch nur eine Abweisung.
Die zweite Linie verläuft theils in Strömen, theils auf dem Meere. Wer diese einschlägt, hat zunächst den Clyde hinabzufahren bis zu dem, seinen Namen tragenden Golf, dann zwischen den Inseln und Holmen hinzusegeln, die diesen wunderlichen Archipel der Riesenhand einer Skelets ähnlich erscheinen lassen, welche diesen Theil des Oceans umkrallt, und von hier führt er nach der rechten Seite weiter bis zum Hasen von Oban. Das entsprach ganz den Wünschen der Miß Campbell, für welche das hochinteressante Land um den Lac Lomond und den Lac Katerine keine Geheimnisse mehr barg. Uebrigens eröffnete sich durch den Zwischenraum zwischen je zwei Inseln, draußen jenseits der Meerengen und Golfe, da und dort ein weiter Ausblick über das Meer, dessen kreisrunde Grenze das Wasser bildete. Wenn nun gelegentlich dieser kurzen Fahrt in der letzten Stunde derselben keine Dunstwand den Horizont verdeckte, wäre es ja nicht unmöglich gewesen jenen Grünen Strahl zu beobachten, dessen Dauer kaum eine Fünftelsecunde beträgt.
»Du begreifst, Onkel Sam, sagte Miß Campbell, und siehst ein, Onkel Sib, daß es sich eben nur um einen Moment handelt. Wenn ich gesehen habe, wonach mir verlangt, ist die Reise als vollendet zu betrachten und wird es zwecklos, sie noch bis Oban auszudehnen.«
Die Broomielaw-Brücke in Glasgow. (S. 34.)
Das stimmte mit den heimlichen Motiven der Brüder Melvill freilich nicht überein. Sie wollten sich für einige Zeit in Oban häuslich niederlassen – wir wissen es ja weshalb – und verlangten gar nicht danach, durch ein schnelles Auftreten jenes Phänomens ihre Projecte zerstört zu sehen.
Das Schloß Dumbarton. (S. 37.)
Da Miß Campbell’s Stimme von jeher die tonangebende war, und sie für den Seeweg eintrat, so wurde denn auch dieser gewählt und vom Landwege war keine Rede mehr.
»Zum Kukuk mit diesem Grünen Strahl! platzte Bruder Sam heraus, als Helena den Salon verlassen.
– Und mit Denen, die ihn erfunden haben!« tönte das Echo des Bruder Sib.
Viertes Capitel.
Den Clyde stromabwärts.
In der ersten Morgenstunde des nächsten Tages, des 2. August, bestieg Miß Campbell in Begleitung der Brüder Melvill und gefolgt von Patridge und Frau Beß den Frühzug in der Bahnhofshalle von Helensbourgh. Sie wollten rechtzeitig in Glasgow den Dampfer erreichen, der bei seinen täglichen Touren zwischen der Metropole und Oban an keinem Küstenpunkte des Golfes anlegt.
Um sieben Uhr setzte der Zug die fünf Passagiere in der Ankunftshalle des Glasgower Bahnhofs ab, und ein Wagen führte dieselben nach der Broomielaw-Bridge.
Dort erwartete der Dampfer »Columbia« seine Fahrgäste; aus seinen beiden Schornsteinen wirbelte in dichten Wolken ein schwarzer Rauch empor, der sich mit dem noch ziemlich dicken Nebel auf dem Clyde
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