Der grüne Strahl
alten, in Auflösung begriffenen Clans. Wo waren sie hin, die früheren Jahrhunderte, welche sie noch heute beklagten? Jener Zeit verschwand der Horizont des Clyde noch nicht hinter der kohlenstoffreichen Ausathmung der Fabriken, seine Gestade zitterten nicht bei den schweren Donnerschlägen der Dampfhämmer, seine friedlichen Gewässer wurden nicht durch die Aufwendung von einigen Tausend Pferdekräften aufgewühlt!
»Diese schöne Zeit wird auch wiederkommen, und vielleicht noch eher, als man es erwartet, sagte Frau Beß mit überzeugungsvollem Tone.
– Ich hoffe es, antwortete Patridge ernsthaft, und mit ihr werden wir die alten Sitten unserer Vorfahren wieder aufleben sehen!«
Inzwischen drängte sich der Vordersteven der »Columbia« schnell zwischen den Ufern des Clyde hin, welche wie ein bewegliches Panorama erschienen. Zur rechten Hand zeigte sich an der Mündung des Kelvin das Dorf Patrick mit den geräumigen Docks, in denen man Schiffe baut und welche denen von Govan auf dem anderen Ufer gegenüber liegen. Welcher Lärm von Eisenplatten und Stangen, welche Wolken von Rauch und Dampf stiegen da empor und verletzten Augen und Ohren des braven Patridge, wie der Frau Beß!
Aber all’ dieser Höllenspectakel einer regen Industrie, wie der düstere Kohlendunst nahm bald mehr und mehr ab. An Stelle der Zimmerplätze, der offenen Hallen, der hohen Schornsteine und jener gigantischen Eisengerippe, welche mehr den Käfigen einer Menagerie von Mastodons gleichen, traten schon freundliche Wohnhäuser auf, unter Bäumen versteckte Cottages und Villen in angelsächsischem Styl, welche auf üppig grünen Wiesen zerstreut lagen. Das Ganze bildete eine fast lückenlose Folge von Landhäusern und Schlössern, welche gleichsam eine Stadt mit der anderen verknüpften.
Nach der alterthümlichen Burg von Renfrew, auf dem linken Flußufer, erhoben sich zur Rechten die bewaldeten Hügel von Kilpatrick über dem Dorfe gleichen Namens, an dem kein Irländer vorüberkommen kann, ohne sich zu erkennen zu geben mit dem Aufrufe: »Hier wurde Saint Patrick, der Schutzheilige Irlands, geboren!«
Der Clyde, bisher nur ein Strom, begann sich allmählich zum wirklichen Meeresarm auszubreiten; Frau Beß und Patridge begrüßten die Ruinen von Dunglas-Castle, welche einige alte Erinnerungen aus der Geschichte Schottlands wachrufen; ihre Augen wendeten sich jedoch ab von dem Obelisk, der einst zu Ehren Harry Bell’s, des Erfinders jenes ersten mechanischen Fahrzeugs, dessen Räder die friedlichen Wässer störten, errichtet wurde.
Wenige Meilen weiter betrachteten die Touristen, ihren Bädeker oder Murray in der Hand, das Schloß Dumbarton, welches sich auf einem Basaltfelsen über fünhundert Fuß hoch erhebt. Von den beiden Kegeln des Berggipfels führt der eine noch den Namen, »der Thron Wallace’s«, eines der Helden des Unabhängigkeitskampfes.
In diesem Augenblicke glaubte sich ein Herr von der Commandobrücke aus – ohne daß ihn Jemand darum ersucht hätte, aber auch ohne daß es Jemand einfiel, das nicht hübsch zu finden – verpflichtet, einen kleinen geschichtlichen Vortrag zur Belehrung seiner Reisegefährten zu improvisiren. Eine halbe Stunde später war es keinem Passagier der »Columbia« – vorausgesetzt, daß er sich eines gefunden Gehörorgans erfreute – mehr gestattet, nicht zu wissen, daß höchst wahrscheinlich schon die Römer Dumbarton befestigt hatten, daß dieser historische Felsen sich zu Anfang des dreizehnten Jahrhunderts in eine königliche Festung verwandelt, daß er, gemäß einer Convention im Unionsvertrage, zu den vier Plätzen des Königreichs Schottland gehört, welche nicht geschleift werden dürfen, daß Maria Stuart im Jahre 1548 von diesem Hasen aus nach Frankreich abreiste, wo ihre Verheiratung mit Franz II. sie zur »Eintagskönigin« machen sollte, und endlich, daß hier im Jahre 1815 Napoleon in Hast gehalten wurde, bis das Ministerium Castlereagh zu dem Entschluß kam, ihn auf St. Helena zu interniren.
»Das ist ja ungemein lehrreich, sagte Bruder Sam.
– Lehrreich und interessant, antwortete Bruder Sib. Dieser Herr verdient unser Aller Dank!«
Und wirklich, die beiden Onkel hatten kein Wort von dem ganzen Vortrage verloren; sie zauderten auch gar nicht, dem unerwarteten Lehrer der Geschichte ihre gerechte Billigung für seine Bemühungen zu erkennen zu geben.
In ihre eigenen Gedanken vertieft, hatte Miß Campbell nichts von der historischen Lection gehört. In diesem
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