Der grüne Strahl
Verwandtschaft herrscht! Darf ich erfahren, welches Phänomen es ist, das in Helensbourgh nicht studirt werden konnte?
– Dieses Phänomen ist ganz einfach der Grüne Strahl, belehrte ihn Bruder Sam.
– Der Grüne Strahl? rief Aristobulos Ursiclos erstaunt, von dem habe ich ja niemals reden gehört! Erlauben Sie mir, da weiter zu fragen, was es mit diesem Grünen Strahl für eine Bewandtniß hat?«
Die Brüder Melvill erklärten, so gut sie konnten, die Erscheinung, welche die »Morning-Post« unlängst der Aufmerksamkeit der Leser empfohlen hatte.
»Pah, machte Aristobulos Ursiclos, das ist nur eine simple Curiosität ohne großes Interesse, welches schon mehr zu dem kindischen Gebiete der unterhaltenden Physik gehört.
– Miß Campbell ist ja ein junges Mädchen, entschuldigte sie Bruder Sib, und sie scheint diesem Phänomen eine unzweifelhaft weit übertriebene Bedeutung beizulegen…
– Denn sie will sich nicht verheiraten, hat sie gesagt, bevor sie es nicht beobachtet hat, setzte Bruder Sam hinzu.
– Nun wohl, meine Herren, prahlte Aristobulos Ursiclos, wir werden ihr ihn zeigen, ihren Grünen Strahl?«
Hierauf begaben sich alle Drei längs eines durch Wiesen in der Nähe des Strandes verlaufenden Weges nach dem Caledonian-Hôtel zurück.
Aristobulos Ursiclos konnte sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, den Brüdern Melvill darzulegen, wie der Geist der Frauen noch immer an Kleinigkeiten hänge, und er legte dabei in großen Zügen Alles dar, was nothwendig sei, um das Niveau ihrer ganz falsch aufgefaßten Erziehung zu heben, obwohl er gewiß nicht glaubte, daß deren, gegenüber dem des Mannes mit weniger Gehirnsubstanz ausgestattetes Gehirn, dessen Faseranordnung außerdem eine andere sei, sie jemals zu wirklich hohen Speculationen geeignet erscheinen lassen werde. Aber ohne so weit zu gehen, könne man doch vielleicht dahin gelangen, dasselbe durch speciell berechnete Erziehung, respective Trainirung zu vervollkommnen, wiewohl, so lange die Welt besteht, sich noch keine Frau durch derartige Entdeckungen ausgezeichnet hat, wie etwa Aristoteles, Euklid, Hervey, Hahnemann, Pascal, Newton, Laplace, Arago, Humphry Davy, Edison, die Humboldt’s, Virchow, Pasteur, Siemens u. A. Hierauf erging er sich in der Erklärung verschiedener Naturerscheinungen und schwatzte von
omni re scibili
– Miß Campbell freilich erwähnte er mit keinem Worte.
Die Brüder Melvill hörten andächtig zu – um so bereitwilliger, als sie unfähig gewesen wären, zwischen diesen, in einer Schnurre declamirten Monolog, den Aristobulos Ursiclos mit den nöthigen hums! hums! spickte und verzierte, ein Wörtchen einzuschieben.
So gelangten sie bis etwa hundert Schritte vor das Caledonian-Hôtel und blieben einen Augenblick stehen, um von einander Abschied zu nehmen.
Da zeigte sich eine jugendliche Erscheinung am Fenster ihres Zimmers. Sie schien eifrig beschäftigt, wenn nicht gar ganz außer Fassung zu sein. Sie blickte gerade hinaus, nach links und nach rechts und sachte offenbar einen Horizont, den sie nicht finden konnte.
Plötzlich bemerkte Miß Campbell – denn sie war es – ihre Onkels. Sofort flog das Fenster klirrend zu und wenige Minuten später kam das junge Mädchen die Arme halb gekreuzt, das Gesicht sehr ernst, die Stirn voll drohender Vorwürfe, nach dem Strande hinab.
Die Brüder Melvill sahen einander an. Was mochte Helena fehlen? War es nur die Anwesenheit Aristobulos Ursiclos’, welche diese Symptome außerordentlicher Aufregung hervorrief?
Inzwischen trat der junge Gelehrte einen Schritt vor und begrüßte Miß Campbell mechanisch.
»Herr Aristobulos Ursiclos, sagte Bruder Sam, indem er den Gelehrten mit einiger Förmlichkeit vorstellte.
– Der sich rein infolge eines glücklichen Zufalles… gerade in Oban aufhält, setzte Bruder Sib hinzu.
– Ah,… Herr Ursiclos!«
– Miß Campbell ließ sich kaum herab, den Gruß zu erwidern.
Dann wendete sie sich gleich an die höchst verlegenen Brüder Melvill, welche gar nicht wußten, woran sie waren.
– Meine Onkels? sagte sie sehr ernst.
– Liebe Helena, antworteten die beiden Onkels mit sichtlich unruhiger Stimme.
– Wir sind doch wohl in Oban? fragte sie.
– In Oban… ganz gewiß.
– Am Hebridenmeere?
– Sicherlich.
– Nun gut, in einer Stunde werden wir nicht mehr hier sein!
– In einer Stunde?
– Hatte ich nicht als Hauptsache einen freien Horizont verlangt?
– Das bestreitet Niemand, liebe Tochter…
– Wollt Ihr
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