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Der grüne Strahl

Der grüne Strahl

Titel: Der grüne Strahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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nothwendige Reaction in ihr eintreten. Olivier Sinclair fühlte, wie sie schon allmählich schwächer wurde. Er wollte sie beruhigen, obgleich ihm selbst jede Hoffnung mehr und mehr schwand.
    »Helena… meine liebe Helena, flüsterte er, bei meiner Rückkehr nach Oban… hab’ ich es gehört… daß Sie… daß ich Ihnen meine Rettung aus dem Strudel des Corryvrekan zu danken habe.
    – Olivier… Sie wüßten es!… antwortete Miß Campbell mit fast erstickter Stimme.
    – Ja… und heute werde ich es Ihnen entgelten können… ich rette Sie aus der Fingalshöhle.«
     

    »Olivier! Olivier!« – rief Miß Campbell. (S. 175.)
     
    Wie konnte Olivier Sinclair von Heil und Rettung zu sprechen wagen, jetzt wo sich schon die Wassermasse am Fuße ihres Zufluchtsortes brach! Es gelang ihm nur sehr mangelhaft, das junge Mädchen vor ihrem Ungestüm zu bewahren. Zwei-oder dreimal wäre er fast mit weggezerrt worden… und wenn er noch Widerstand leistete, so geschah es mit wirklich übermenschlicher Anstrengung, weil er Miß Campbell’s Arme wie um seine Taille geknüpft fühlte und begriff, daß das Meer sie mit ihm fortspülen werde. – Es mochte gegen neuneinhalb Uhr Abends sein. Der Sturm hatte zu dieser Zeit seine höchste Intensität erreicht. Das steigende Wasser stürzte sich mit der Wuth einer Sintflut in die Fingalshöhle. Sein Anprall an den Hintergrund und an die Seitenwände erzeugte ein betäubendes Krachen, und die Gewalt desselben war so groß, daß von den Wänden losgerissene Basaltstücke herabstürzten und dunkle Löcher in den phosphorescirenden Schaum schlugen.
    Würden unter diesem Angriffe nicht gar die Basaltpfeiler Stein für Stein in den Abgrund versinken?
    Olivier Sinclair konnte Alles befürchten. Auch er fühlte sich schon von einer unüberwindlichen Empfindungslosigkeit befallen, gegen welche er vergeblich ankämpfte. Das kam wohl mit davon her, daß es hier manchmal an Luft fehlte, und wenn diese mit den Wogen in vollen Strömen eindrang, so schien das Wasser sie doch gleich wieder aufzusaugen, wenn der Rückstrom sie mit nach außen führte.
    Völlig erschöpft und kraftlos, war Miß Campbell einer Ohnmacht nahe.
    »Olivier!… Olivier!«… murmelte sie und sank in seinen Armen zusammen.
    Olivier Sinclair hatte sich mit dem jungen Mädchen so tief als möglich in den Hintergrund der kleinen Steinhöhle gedrängt. Er fühlte, daß sie kalt, scheinbar leblos war. Er wollte sie erwärmen, wollte ihr alle Lebenskraft einflößen, die ihm noch übrig geblieben war. Schon rollten ihm aber die Wellen bis zur halben Körperhöhe empor, und wenn er jetzt das Bewußtsein verlor, war es um Beide geschehen.
     

    Er begann dem schmalen Steige zu folgen. (S. 179.)
     
    Der unerschrockene junge Mann hatte jedoch die Kraft, mehrere Stunden lang so auszuhalten. Er hielt Miß Campbell, deckte sie gegen den wilden Wogenschlag, kämpfte, indem er sich nur mit den Ellenbogen an die Basaltvorsprünge stemmte, und das mitten in einer Finsterniß, welche das Verlöschen der Phosphorescenzerscheinungen ganz tief erscheinen ließ, mitten unter diesem unaufhörlichen Donner des anprallenden gurgelnden Wassers und des heulenden Sturmes. Das war jetzt nicht mehr die Stimme Selmas, die im Fingals-Palaste wiederhallte. Es war das betäubende Gebell der Hunde von Kamtschatka, welche, sagt Michelet, »in großen zu Tausenden zählenden Banden während der langen Nächte den heulenden Wogen antworten und mit der Wuth eines nördlichen Oceans wetteifern!«
    Endlich machte sich die eintretende Ebbe bemerkbar. Olivier Sinclair überzeugte sich, daß auch die hohle See sich mit dem fallenden Wasser ein wenig beruhigte. Jetzt war es in der Höhle so vollkommen finster, daß es draußen noch verhältnißmäßig tageshell zu sein schien. In diesem Halbschatten zeichnete sich die Oeffnung der Grotte, welche nicht mehr von dem aufwallenden Meere verschlossen wurde, in geisterhaften Umrissen ab. Bald spritzten nur noch Schaumflocken bis zum Fuße des Armstuhls Fingal’s hinaus. Jetzt bildeten die Wellen nicht mehr einen Lasso, der sein Opfer umschlingt und mit sich fortreißt. In Olivier Sinclair’s Herz zog allmählich die Hoffnung wieder ein.
    Mittelst Abschätzung nach dem Stande des Meeres konnte man annehmen, daß Mitternacht vorüber sei. Noch zwei Stunden, dann spülten die Wellen voraussichtlich nicht mehr über die Gallerie hinweg, und diese mußte wieder gangbar werden. Olivier hatte freilich Mühe, bei der

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