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Der grüne Strahl

Der grüne Strahl

Titel: Der grüne Strahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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antwortete Miß Campbell.
    Es schien, als ob sie in ihrem etwas verwirrten Gedächtnisse erst nachsuchen müsse, was es mit diesem Strahle für eine Bewandtniß habe.
    »Ah, ganz recht!… sagte sie nach kurzer Pause. Wir sind ja eigentlich hergekommen, um den Grünen Strahl zu sehen!
    – Nun denn, vorwärts! sagte Bruder Sam, entzückt über die sich bietende Gelegenheit, das junge Mädchen ihrem Stumpfsinne zu entreißen, der sie zu erstarren drohte, begeben wir uns nach der andern Seite der Insel!
    – Und wir speisen erst nach der Rückkehr,« setzte Bruder Sib heiter hinzu.
    Er war jetzt um fünf Uhr Nachmittags.
    Unter Führung Olivier Sinclair’s verließ die ganze Familie, Frau Beß und Patridge inbegriffen, die Clam Shell-Grotte, stieg die Holztreppe hinauf und gelangte damit nach dem Rande des oberen Plateaus.
    Da hätte man die Freude der beiden Onkels sehen müssen, als sie den wundervollen Horizont überblickten, an dem die Sonne langsam herabsank. Vielleicht übertrieben sie heute – aber niemals, nein niemals zeigten sie so viel Enthusiasmus für die erwartete Erscheinung. Es hatte das Ansehen, als wenn um ihrer selbst, nicht um Miß Campbell’s willen alle diese Ortsveränderungen mit den unausbleiblichen Mißhelligkeiten unternommen worden wären, von der Abreise aus Helensburgh auf dem Wege über Oban und Jona bis nach Staffa.
    In der That versprach aber auch der heutige Sonnenuntergang ein so herrlicher zu werden, daß der unempfindlichste, der nüchternste und prosaischste aller Kaufleute der City von London oder aller Großhändler der Canongate das Meerespanorama, wie es sich hier vor Aller Augen ausbreitete, hätte bewundern müssen.
     

    Die ganze Familie stieg die Holztreppe hinauf. (S. 183.)
     
    Miß Campbell fühlte sich bald wie neugeboren in dieser, mit den Salzausdünstungen, welche der leichte Wind mit sich führte, geschwängerten Atmosphäre.
     

    – weder Olivier noch Helena hatten den Grünen Strahl gesehen. (S. 188.)
     
    Weit öffneten sich ihre schönen Augen, wenn sie auf die ersten Wasserflächen des Atlantischen Oceans hinausblickte. Auf ihre durch Erschöpfung erbleichten Wangen kehrte die rosige Färbung ihres schottischen Teints zurück. Wie schön war sie doch! Welch’ ein anziehender Reiz schmückte ihre Gestalt! Olivier Sinclair ging etwas hinter ihr und betrachtete sie schweigend, und er, der sie sonst ohne beklemmendes Gefühl auf ihren langen Spaziergängen begleitete, wagte in seiner jetzigen Gemüthsstimmung mit peinigender Angst im Herzen kaum sie anzusehen.
    Die beiden Brüder Melvill erschienen buchstäblich so strahlend wie die Sonne selbst. Sie sprachen auf dieselbe mit einer Art Begeisterung, luden sie ein, hinter dem klaren dunstlosen Horizont unterzugehen, und baten sie, ihnen am Ende dieses herrlichen Tages ihren letzten Strahl zuzusenden.
    Gleichzeitig erinnerten sie sich wieder der schönen Ossianischen Dichtungen und tauschten einige Verse aus.
    »Du, die Du hinrollst über unsere Häupter, so rund wie einstmals unsrer Ahnen Schild, sag’ uns, woher entsprießen Deine Strahlen, wo kommt es her, Dein ewig schönes Licht?
    »Du schwebst dahin in majestät’scher Schöne! Die Sterne fliehen aus dem Firmament, der bleiche kalte Mond versteckt sich ängstlich im Westen, Du nur, Sonne, bleibst zurück!
    »Wer könnte Dich auf Deinem Lauf begleiten? Der Mond verliert sich scheu am Himmel, Du, nur Du bist stets die Gleiche, immer lächelnd durchfliegst Du glanzvoll Deine weite Bahn.
    »Und wenn der Donner rollt, die blauen Blitze auftauchen aus der Wolken Kampfgetöse, trittst Du hervor in immer gleicher Schönheit, und unverwandelt lachst Du ob des Sturms!«
    In eigenthümlich gehobener Stimmung wanderten Alle so jenem Ende Staffas zu, das nach dem freien Meere hinausliegt. Dort setzten sie sich auf die äußersten Felsblöcke, vor sich einen Horizont, dessen von der Berührungsstelle zwischen Himmel und Wasser gezogene Grenzlinie nichts trüben zu können schien.
    Diesmal konnte auch der unselige Aristobulos Ursiclos das Segelwerk eines Fahrzeuges oder einen aufgejagten Schwarm von Seevögeln zwischen das Eiland von Staffa und die Stelle des Sonnenunterganges nicht einschieben.
    Der Wind legte sich gegen Abend gänzlich, die letzten Wellen erstarben in der sich sanft wiegenden Brandung am Fuße der Felsen. Weiter draußen lag das Meer glatt wie ein Spiegel und zeigte jene fast ölartige Oberfläche, auf der man die geringste darüberhuschende

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