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Der grüne Strahl

Der grüne Strahl

Titel: Der grüne Strahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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Fingal’s naturgemäß so leicht auftauchen. Etwas verwandt mit den Lindamires, den vielbewunderten Heroinen der Ritterromane, durchstreifte sie die benachbarten Thäler und Schluchten, um dem »Dudelsack von Strathdearne« zu lauschen, wie die Hochländer den Wind nennen, wenn er durch einsame Alleen hinweht.
    Bruder Sam und Bruder Sib liebten ganz gleichmäßig jenes »Ich« und jenes »Andere« der Miß Campbell; doch wir dürfen nicht verheimlichen, daß wenn das Erstere sie durch seine Vernunft entzückte, das Andere sie zuweilen ganz außer Fassung brachte durch unerwartete Antworten, durch launenhafte Fernblicke und durch plötzliche Seitensprünge in das Reich der Träume.
    War es nicht dieser zweite Theil ihrer Natur gewesen, der auf den Vorschlag der Brüder eine so bizarre Antwort gegeben hatte?
    »Mich verheiraten!« würde das »Ich« gesagt haben. Herrn Ursiclos heiraten!… Wollen sehen… davon können wir ja später sprechen.
    – Niemals, so lange ich noch nicht den Grünen Strahl gesehen!« hatte die »Andere« in ihr eingewendet.
    Die Brüder Melvill sahen einander verblüfft an, während Miß Campbell in dem großen gothischen Lehnstuhle in der Fensternische es sich bequem machte.
    »Was versteht sie unter dem Grünen Strahl? fragte der Bruder Sam.
    – Und warum will sie den Grünen Strahl sehen?« antwortete der Bruder Sib.
    Warum? Das werden wir sofort erfahren.
Drittes Capitel.
Der Artikel der »Morning-Post«.
    Denselben Tag, an dem sich die im Vorhergehenden geschilderte Scene abspielte, hätten Liebhaber von Merkwürdigkeiten Folgendes in der »Morning-Post« lesen können:
    »Haben Sie jemals die Sonne beobachtet, wenn sie unter einem Meereshorizonte verschwand? – Ja, sicherlich. Sind Sie ihr auch mit dem Blick gefolgt bis zu Moment, wo sie, wenn der obere Rand ihrer Scheibe den Wasserrand berührt. eben gänzlich untergehen will? – Höchst wahrscheinlich. Aber haben Sie dabei die Erscheinung bemerkt, welche genau in dem Augenblicke auftritt, wo sie uns, vorausgesetzt, daß der dunstlose Himmel eine durch nichts gestörte Fernsicht gewährt, ihren letzten Strahl zusendet? – Nein, vielleicht nicht. Nun, so bald sich Ihnen eine Gelegenheit bietet – und das ist nur selten der Fall – bei der Sie diese Beobachtung machen können, so werden Sie wahrnehmen, daß nicht, wie man glauben könnte, ein rother, sondern ein »grüner« Strahl die Netzhaut des Auges trifft, aber ein Strahl von ganz wunderbarem Grün, von einem Farbenton, wie ihn kein Maler auf seiner Palette erzeugen kann, einem Grün, welches die Natur selbst weder in der so verschiedenen Färbung der Pflanzen, noch in der der klarsten, durchsichtigsten Meere jemals wieder in gleicher Nuance hervorbringt. Wenn es im Paradiese Grün gibt, so kann es nur das hier gemeinte sein, welches ohne Zweifel das wirkliche Grün der Hoffnung darstellt!«
    So lautete der Artikel der »Morning-Post«, welches Blatt Miß Campbell beim Eintritt in den Salon in der Hand hielt. Die kurze Notiz hatte sie vollkommen eingenommen. Mit enthusiastischer Stimme las sie ihren beiden Onkels auch die angeführten wenigen Zeilen vor, welche in lyrischer Form die Schönheit jenes Grünen Strahles priesen.
    Miß Campbell sagte dabei aber nicht, daß gerade dieser Grüne Strahl mit einer alten Legende in Verbindung steht, deren wirklicher Sinn ihr bisher verborgen geblieben war, einer gleich vielen anderen überhaupt unerklärten sagenhaften Ueberlieferung, nach welcher derjenige, der jenen Grünen Strahl nur einmal gesehen, sich in Herzenssachen nicht mehr täuschen könne; sein Erscheinen zerstört alle Illusionen und Unwahrheiten; wer so glücklich war, ihn nur einmal wahrzunehmen, sieht dann eben so klar im eigenen Herzen wie in dem Anderer.
    Verzeihe man der jungen Schottin der Hochlande das poetische Vertrauen, welches die Lectüre obigen Artikels der »Morning-Post« auf’s Neue belebte.
    Bei Anhörung der Worte der Miß Campbell starrten sich die Brüder Sam und Sib mit großen Augen an. Bisher hatten sie ohne jenen Grünen Strahl gelebt und waren der Meinung, man könne auch leben, ohne denselben jemals gesehen zu haben.
    Damit schien freilich Helena nicht übereinzustimmen, welche den wichtigsten Schritt ihres Lebens der Beobachtung dieses immerhin seltsamen Phänomens unterzuordnen verlangte.
    »Ah, also das ist es, was man den Grünen Strahl nennt? sagte Bruder Sam, leise den Kopf bewegend.
    – Ja, erklärte Miß Campbell.
    – Der, den Du auf

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