Der gute Liebhaber
möglichen praktischen Dinge – beispielsweise Rezepte für Fischgerichte und Biskuitrollen oder wie man sich eine Frau wählt – die Aufmerksamkeit von ihrem eigenen Zustand abzulenken. Sie hatten sich lange, lange unterhalten – über alles andere als ihre Krankheit und meistens über seine Zukunft. Wonach er sich sehnte, was er noch alles lernen wollte, in was für einem Haus er leben wollte. Sie war entschlossen, nach vorn zu blicken, in die Zeit, wo sie nicht mehr da sein würde – sie wollte ihren Kalli nach fünf Jahren, nach zehn Jahren, nach zwanzig Jahren vor sich sehen.
Wie viele Kinder möchtest du haben?, fragte sie.
Ein Mädchen, es soll Ásta heißen.
Richte ihr Grüße von mir aus, sagte Ástamama. Das konnte sie ohne jede Sentimentalität sagen, ohne dass Tränen flossen; ihr, die im Sterben lag, gingen Grüße an ein Enkelkind, dessen Zeugung noch in weiter Ferne lag, ganz selbstverständlich über die Lippen.
Mithin das Unglaublichste waren ihre Vorschriften darüber, wie lange Kallis Besuche bei ihr dauern durften, nachdem sie in das schlimmste Krankheitsstadium eingetreten war:
Wenn du mich gut in Erinnerung behalten willst, mein lieber Kalli, so bedeutet mir das am meisten. Ich will nicht, dass du hier ständig um mich herum bist, wenn es zu Ende geht. So etwas sollte jungen Menschen nicht zugemutet werden. Reif sind wir frühestens mit dreißig, und da fehlen dir noch einige Jährchen. Und dann lächelte sie, gab ihm einen Kuss und schickte ihn aus dem Zimmer.
Eine erstaunliche Frau, sagte Lotta.
Das war sie. Wirklich erstaunlich, auch wenn ich das sage.
Lottas Tränen tropften in den Ausschnitt des minzgrünen Seidenkleids, im Gedenken an eine Frau, die sie nie gekannt hatte; Karl Ástuson hätte ebenfalls geweint, wenn ihm die Tränen zu diesem Zeitpunkt seines Lebens nicht längst abhandengekommen wären.
Sprechen wir von etwas anderem, sagte er. Der Alkohol hat mich indiskret gemacht.
Das ist so unerhört traurig, sagte Lotta. Aber gleichzeitig auch schön.
Auch schön, das dürfen wir nicht vergessen, wiederholte er, wie das personifizierte Echo. Sie stürzten sich auf das Dessert, Panna cotta mit einem Hauch von Vanille in Kombination mit einer Fruchts0ße, die im Jahr zuvor bei einem internationalen Dessert-Wettbewerb in Rio de Janeiro den ersten Preis gewonnen hatte.
Während des preisgekrönten Desserts bemühte sich Karl Ástuson, wieder Haltung zu gewinnen. Gab sich wieder formell und gesetzt, um sicherzugehen, dass Lotta dieses überraschende Bekenntnis über innerste Gefühle nicht missverstünde, um sie nicht – falls es bereits geschehen war – auf weitere abwegige Gedanken zu bringen.
Er war nie zuvor ihr gegenüber so persönlich geworden, dieser Frau, die seit fünf Jahren eng mit ihm zusammenarbeitete – und das durfte er sich auch nicht ein weiteres Mal gestatten. Sie würde sich falsche Hoffnungen machen. So durfte man nicht mit Menschen umgehen.
Als er die Rechnung beglichen hatte, schlug er vor, sich in getrennten Taxis auf den Heimweg zu machen, er müsse auf dem schnellsten Weg nach Hause, da er noch eine Kleinigkeit zu erledigen habe.
Ganz wie du willst, Master, sagte Lotta mit ihrer disziplinierten Stimme, aber ein leichtes Zucken der Mundwinkel verriet die Enttäuschung, die sie nicht zu kaschieren vermochte. Dieses Abendessen und das Gespräch über Ástamama verhieß keine großen Veränderungen, nicht den lang ersehnten Wendepunkt; sie war wieder allein auf dem Weg nach Hause.
Er schreckte aus seinen Gedanken an Lotta hoch. Was war eigentlich los? Die wichtigste Aktion in seinem Leben stand bevor, und da kam Lotta ihm in die Quere, die Frau, die es gewohnt war, ihm in allem zu assistieren, wie eine Verlängerung seiner eigenen Hand. Ihm stand die Aufgabe bevor, Una und sich selbst außer Landes zu bringen. Zuvor noch Gepäck aus einer Wohnung mit Aussicht auf eine Tankstelle abzuholen. Es war der Laptop, den er nicht entbehren konnte, deswegen musste er gezwungenermaßen noch einmal dorthin. Die Stapel von Hawaiihemden und den schwarzen Pyjama hätte er problemlos dort zurücklassen und Lotta bitten können, sich darum zu kümmern, dass die Sachen zum Roten Kreuz gelangten.
Er hatte überhaupt keine Vorstellung, wie lange diese Anprobe nun schon andauerte, ob Una und Sigríður seit fünf, zehn oder sogar fünfzehn Minuten verschwunden waren. Er wurde unruhig.
Una hatte sich nicht dazu geäußert, ob sie mit ihm gehen wollte, sie
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