Der gute Liebhaber
anderen Mädchen in diesem Alter ihren eigenen Weg gehen wollte, weil sie noch nicht bereit war, ihr Leben mit jemand anderem zu teilen. Er hatte den Gedanken daran, weshalb sonst seine Liebste Schluss mit ihm gemacht haben könnte, immer mit aller Kraft verdrängt.
Was war das eigentlich für eine Apathie? Was für eine Art von Verdrängung? Weshalb hatte er damals am Küchentisch, als sie mit ihm Schluss gemacht hatte, keine einzige Frage gestellt? Hatte er sich wie ein Idiot aufgeführt? Er war der Überzeugung gewesen, dass Kinohelden und Kavaliere sich nicht anders verhalten hätten als er, und war sofort effektvoll aufgestanden, um zu zeigen, dass ein Mädchen, das gehen wollte, gehen konnte.
Nun sah Una ihm, dem Mann, der sie sein Leben lang liebte, zum ersten Mal seit dem Dienstagmorgen vor siebzehn Jahren in die Augen. Ihrer Miene nach zu urteilen hätte man glauben können, soeben sei im gleichen Raum ein sehr lieber Freund verstorben. Sie richtete sich auf und erhob sich mit genau denselben Bewegungen, die Karl seit seiner Jugend vertraut waren. Sie murmelte so leise, dass er eher sah als hörte, was sie sagte: Ich bitte Sigríður, mir ein paar Sachen zu leihen.
In diesem Augenblick verspürte er Erleichterung, pure Erleichterung – vielleicht wie jemand, der erfährt, dass seine Krankheit nicht unbedingt tödlich verlaufen muss. Ihm wurde weder heiß noch kalt, er stürzte nur noch mehr Kaffee in sich hinein und verputzte den Rest des Eierkuchens mit Butter. So oft kam er nicht in den Genuss von isländischer Butter.
Er wollte möglichst kein Taxi bestellen, um zum Flughafen zu fahren – aus Angst davor, dass Nonni wieder auftauchen würde; und ein Krankenwagen kam nun auch nicht mehr in Frage. Er hoffte darauf, dass Sigríður nicht nur ein Auto hätte, sondern ihnen auch anbieten würde, sie zum Flughafen zu bringen, das war die sicherste Art und Weise. Zunächst mussten sie aber so schnell wie möglich aus diesem Haus heraus, bevor ein wutschnaubender Ehemann im nächsten Haus erwachte. Der hatte jetzt wirklich Grund dazu, wild zu werden. Es war der Albtraum eines jeden Mannes, dass ihm die Frau im Schutz der Dunkelheit mit einem alten Liebhaber davonläuft, ohne vorher auch nur einen Mucks zu sagen. Eine unschöne Verfahrensweise, aber es gab keine andere Möglichkeit.
Nun war er in dieser Schicksalsstunde allein im spukigen Wohnzimmer. Die Frauen hatten sich einfach ohne ein Wort zurückgezogen. Una probierte wohl gerade viel zu weite Kleider in nichtssagenden Farben an, Sachen, in denen sie ihm übers Meer folgen würde. Welches Meer? Sobald das feststand, würde er Lotta anrufen müssen, um ihre Ankunft vorzubereiten. Er fürchtete sich davor, Lotta sagen zu müssen: Ich komme nicht allein, hier sind unvorhergesehene Dinge passiert. Das klang nach Unfall. Allerdings wäre diese Nachricht für sie ja auch eine Hiobsbotschaft. Zwar hatte sie vermutlich nach all den Jahren die Hoffnung aufgegeben, dass aus ihnen ein Paar werden würde. Aber sie glaubte und hoffte wahrscheinlich, dass der Status quo erhalten bliebe, dass sie weiterhin die vom Tisch fallenden Brosamen aufpicken könnte; unter anderem einmal pro Jahr eine Reise mit dem Master.
Es tat ihm entsetzlich leid, wie schlimm es für Lotta sein würde, dass er nicht mehr allein war. Sie würde es als Betrug empfinden. Er hatte ihr nicht nur nie etwas versprochen, sondern ihr auch klar und deutlich gesagt, dass er sich nie binden würde. Überdies hatte er aus lauter Vorsicht immer größte Zurückhaltung gewahrt, damit sie nichts missinterpretierte. Aber seit wann hielt sich die Liebe an logisches Denken? Verliebte Menschen sahen in jedem Blick und jeder Handbewegung Anlass zur Hoffnung. Und der musste er wohl auch Vorschub geleistet haben, indem er ihr ein Geheimnis anvertraute, das er niemand anderem verraten hatte, damals beim Abendessen im Nightingale. Er hatte ihr von Ástamama erzählt, wie sie ihn darauf vorbereitet hatte, ohne sie zu leben.
Er hatte das Glück gehabt, im Nightingale den Tisch mit der besten Aussicht auf Wolkenkratzerwald und Wasser zu bekommen (und er staunte darüber, dass er nach all den Jahren, in denen Lotta dergleichen für ihn besorgt hatte, noch imstande war, selber einen Tisch zu bestellen). Mit Lotta war so ein Abendessen auch ohne Vorankündigung möglich, denn sie hatte immer Ausgehsachen im Büro parat. Das war typisch für sie. Es kam zwar kaum öfter als zweimal im Jahr vor, dass sie davon
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