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Der gute Liebhaber

Der gute Liebhaber

Titel: Der gute Liebhaber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steinunn Sigurdardóttir
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der Wollsocken gelandet waren, das Risiko einging, den Mund aufzumachen. Dann erst lehnte er sich auf seinem Sessel vor und streckte ihr über den Tisch hinweg zur Begrüßung die Hand hin. Sie ergriff sie unverzüglich, und damit blieben sie erst einmal mit einem in die Länge gezogenen Händedruck aneinander kleben.
    Wir haben vielleicht jetzt nicht viel Zeit, sagte er, aber ich war entschlossen, das Land nicht zu verlassen, ohne mit dir gesprochen zu haben. Eine Freundin von mir, die Psychiaterin ist, hat mir geholfen, klarzusehen.
    Bist du in Behandlung bei einer Psychiaterin?
    Nein, sagte er, aber vielleicht wäre das nötig.
    Ich bin ständig in psychiatrischer Behandlung, seit fünf Jahren schon, sagte Una. Bestimmt bin ich in der Hoffnung hingegangen, dass es mir helfen würde, aus der Ehe herauszukommen, aber das hat nicht geklappt. Es ist die alte Geschichte, geholfen wird nur dem, der sich selber hilft.
    Bist du unglücklich?, fragte Karl in einem Ton, als würde er nach dem Wetter fragen. Und Unas Antwort klang auch nicht anders, als hätte sie die Wetternachrichten gehört und könnte ihm die Prognose mitteilen.
    Glück ist ein großes Wort. Unglück auch.
    Genau das hat Mama auch immer gesagt.
    Das weiß ich, sagte Una. Du hast es mir damals gesagt.
    Ich hatte vergessen, dass ich dir das gesagt habe.
    Wie konntest du das vergessen?
    Ich weiß es nicht. Aber dich habe ich nicht vergessen, nicht einen einzigen Tag.
    Sie schwieg.
    Ich habe nie geheiratet, ich hatte noch nicht einmal eine feste Beziehung.
    Ich habe dich auch vermisst. Immer.
    Karl Ástuson befreite sich so ungeschickt aus dem Händedruck, dass er mit der Hand gegen seine Tasse stieß. Er wischte sich die Kaffeespritzer verlegen mit einer gelben Osterserviette ab, stand anschließend auf und setzte sich neben Una und betrachtete ihr Profil. Sie senkte den Blick und sah auf ihre Hände.
    Die hatten sich verändert und auch das Gesicht. Die Jahre hatten winzige Falten um Augen und Mund hinterlassen, und ihre Wangen waren fülliger als früher. Da war auch ein leichter Ansatz zum Doppelkinn, vielleicht, weil sie nach unten blickte. Sie sah nicht besonders jung aus für ihre siebenunddreißig Jahre, aber er fand sie unglaublich schön. Er beneidete die Zeit, die sich an dem lieben Gesicht zu schaffen gemacht hatte. Und liebte gleichzeitig jede Minute der Zeit, die mit ihrem Antlitz in Berührung gekommen war; er hatte nur den einen Wunsch, bei möglichst allen weiteren Minuten dabei sein zu dürfen, die mit ihrem Gesicht in Berührung kommen würden.
    Ich habe dich auch vermisst. Immer.
Weil das so war, musste es ihm doch gestattet sein, Una in den Arm zu nehmen. Das tat er und sagte: Könntest du dir vorstellen, mit mir zu kommen?
    Wohin?
    Ich bin an zwei Orten zu Hause, auf Long Island und in Südfrankreich, ganz in der Nähe von Arles.
    Wann?
    Jetzt.
    Jetzt?
    Ich traue nur dem Augenblick, und der ist jetzt.
    Wie sollen wir das machen?
    Wenn wir bald aufbrechen, können wir noch einen Flug erwischen. Hast du deinen Pass dabei?
    Der ist zufälligerweise in meiner Tasche.
    Ich glaube nicht mehr an Zufälle.
    Und was ist mit Ingi Bói, wenn er aufwacht, und ich bin weg?
    Du schickst ihm eine SMS , bevor wir ins Flugzeug steigen.
    Hätte es nicht Zeit bis morgen?
    Ich traue dem Morgen nicht.
    Inwiefern?
    Wenn wir warten, laufen wir Gefahr, dass es schiefgeht. Ich möchte mit dir dieses Haus verlassen, jetzt.
    Und Karl Ástuson nahm den Arm von Unas Schultern, griff nach einem Eierkuchen und aß ihn halb auf, wie um seinen festen Vorsatz zu unterstreichen. Er kaute bedächtig, nicht flüchtig.
    Ja, aber ich liebe mein Haus, sagte Una.
    Das Haus, das du stattdessen bekommst, ist nicht schlechter. Im Grunde genommen sind es sogar zwei.
    Kein Haus kann mir mein Haus ersetzen, sagte Una. Das Haus ist mein Leben.
    Ein Haus ist ein Haus, sagte Karl. Ein Leben ist ein Leben.
    Dir ist es ernst damit, sagte Una.
    Es ist das Einzige, womit mir jemals ernst war. Abgesehen von unseren gemeinsamen Monaten.
    Sieben Monate, sagte Una. Die sich über das ganze Leben hingezogen haben, bis zu dieser Stunde.
    Der Augustmorgen, an dem wir uns trennten, holt uns ein.
    Ich werde dir irgendwann erzählen, was passierte, sagte sie.
    Ganz wie du willst, sagte er, obwohl er sich keineswegs mehr sicher war, ob er wissen wollte, was passiert war. Er hatte es vorgezogen, sich auf die Version zu verlegen, dass nichts vorgefallen war, dass sie mit ihren neunzehn Jahren wie alle

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