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Der gute Liebhaber

Der gute Liebhaber

Titel: Der gute Liebhaber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steinunn Sigurdardóttir
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Vorbild zu nehmen. Ich kenne dich gut genug, um zu wissen, dass du imstande bist, etwas zu leben, was man ein Leben nennen kann, und ich bitte dich aus ganzem Herzen, es zu tun. Bitte denk nicht mehr an deine unglückliche Psychiaterin, die nichts dafür kann.
    Ich kann dir statt meiner voll und ganz Melanie van der Stein empfehlen. Ich füge ihre Karte bei, sie weiß von dir. Mögen dich gute Geister begleiten.
     
    Aufrichtig
    Deine Doreen Ash
     
    Karl Ástuson las Doreens Abschiedsbriefe an ihre zweitletzten Mohikaner und schwieg, wie es sich für den drittletzten geziemte. Liina Minuti schwieg ebenfalls. Dieses Zweipersonenschweigen klang wie vorgeschrieben, wie das Schweigen in einem Theater oder einer Kirche.
    Sollten wir uns nicht im Gedenken an sie einen Gin Tonic genehmigen?, fragte die Gastgeberin plötzlich, und Karl Ástuson wurde bewusst, dass sie viel länger auf dem Trockenen gesessen hatten, als es die Gastfreundschaft zuließ.
    Liina Minuti mixte die Drinks in der Küche und ließ den Gast in der Sofaecke zurück. Er fühlte sich ganz wirr im Kopf, was vielleicht normal war. Ein Mann, der eine gerade verstorbene Frau bis in ihr Heim verfolgt hatte, die Person, die ein beispielloses Buch über ihn geschrieben hatte. Ein Machwerk, das zugleich eine völlig absurde Analyse des Guten Liebhabers und der Spontanfrau sein wollte. So nannte sie sich selber in diesem Buch. Und er hatte sie Liebhaberin genannt. Was hatte er eigentlich hier bei ihr zu Hause zu suchen? Die Beerdigung lag schon lange zurück. Karl Ástuson schüttelte den Kopf über sich selber.
    Liina kam mit den Gläsern zurück, setzte sich neben ihn aufs Sofa, und sie stießen auf Doreen Ash an.
    Wie fandest du das Buch?, fragte Liina.
    Auf diese naheliegende Frage war Karl Ástuson nicht gefasst. Er war stinkwütend auf sich selber wegen dieser Fahrlässigkeit, und das verleitete ihn zu einer Antwort, die klang, als hätte er sich die Zunge mit Olivenöl eingeschmiert:
    Es ist natürlich beschämend, aber ich lese fast nur Bücher mit historischem Bezug und Kriminalromane. Für Literatur bin ich nicht sehr zu haben, und dieser Roman ist so speziell, dass ich meine liebe Müh und Not damit hatte, überhaupt durchzukommen. Auch wenn er von einer lieben Freundin geschrieben wurde. Aber die Idee, Wissenschaft und Dichtung auf diese Weise miteinander zu verquicken, ist natürlich brillant.
    Ich habe viel darüber nachgedacht, ob es stimmt, was Doreen mir gesagt hat, dass sie sich diese Geschichte ausgedacht und so dargestellt hat, als sei sie in Wirklichkeit passiert. Ich habe allerdings den Verdacht, dass der Gute Liebhaber ein ganz reales und präzises Vorbild hat und dass alles, was sie schreibt, tatsächlich so geschehen ist.
    Dir hätte sie es doch wohl gesagt, wenn es irgendein Vorbild gäbe, oder nicht?
    Da bin ich mir nicht so sicher.
    Sie hat aber nicht gerade den Eindruck gemacht, als würde sie mit Dingen hinter dem Berg halten.
    Je nachdem. Doch da ist etwas passiert, was ihr Leben auf den Kopf gestellt hat. Ich tippe auf die große Liebe, genau wie es im Buch beschrieben ist.
    Ja, aber du musst doch ihre große Liebe sein.
    Liinas gutmütiges Lachen hatte einen spöttischen Beiklang: Du lieber Himmel, nein! Doreen ist meine Liebe, meine einzige und mehr als das. Doch das beruhte nicht auf Gegenseitigkeit.
    Es gibt viele Arten von Liebe, sagte Karl Ástuson, ausgerechnet er, der Mann, der nur eine einzige Frau lieben konnte – abgesehen natürlich von seiner Mutter.
    Vielleicht. Aber die große Liebe ist sich immer gleich, in dem Sinne, dass sie beständig ist.
    Ich begreife nicht, wie großartig du dich hältst.
    Ich war darauf vorbereitet. Ich konnte zwar nicht wissen, wann, aber ich wusste genau, wie es enden würde und dass ich nichts, rein gar nichts tun konnte, um es zu verhindern. So entschlossen, wie Doreen war, hätte ich überhaupt nichts ausrichten können. Vielleicht ein- oder zweimal, aber dann hätte sie es nur wieder versuchen müssen, mit all dem Umstand, der damit verbunden ist. Und wenn ich sie stets und ständig überwacht hätte, wäre sie gezwungen gewesen, es ganz alleine und ohne mich durchzustehen.
    Weshalb wollte sie nicht leben?
    Ich glaube, sie wollte nicht abseits der großen Liebe leben. Darum ging es ihr – in Liebe und mit Liebe zu leben, sie gab sich mit nichts weniger zufrieden. Außerdem hat sie getrunken. Alkohol in diesen Mengen ist Masochismus in seiner reinsten Form, Selbstzerstörung. Sie

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