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Der gute Liebhaber

Der gute Liebhaber

Titel: Der gute Liebhaber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steinunn Sigurdardóttir
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warf der leichtfertigen Trauernden einen strengen Blick zu. Und auch unter Androhung der Todesstrafe hätte er kein Wort hervorbringen können.
    Liina behielt trotz der Miene des Gastes ihr Lächeln bei und sagte: Doreen hat viel über dich gesprochen, seitdem du sie aus Island angerufen hast. Du hast ihr viel bedeutet – weil es ihr gelungen war, Einfluss auf dein Leben zu haben. Sie sagte, du seist die einzige Person, für die sie etwas hätte tun können, was tatsächlich von Bedeutung war. Und dass sie das nur deswegen konnte, weil du nicht bei ihr in Behandlung warst.
    Anscheinend ist es nicht beneidenswert, Psychiater zu sein.
    Doreen hatte ihre Praxis gründlich satt. Sie hatte das Gefühl, ihre Patienten stagnierten, sie träten trotz vermehrter Einsicht auf der Stelle. Sie redete allerdings nicht von Patienten, sondern von «ihren Leuten». Was nutzen uns diese ganzen Erkenntnisse, hat sie oft gesagt. Wo sie doch gar nichts bewirken. Und dann hat sie ein paar von den typischen Phrasen von sich gegeben und gefragt: Wie kann eine Person nach zehn Jahren Behandlung immer noch auf demselben Zeugs herumreiten?
    Es muss also eine Erleichterung für sie gewesen sein, die Praxis aufzugeben.
    Da kannst du sicher sein. Aber da waren immer noch die zwei, die sie ihre letzten Mohikaner nannte, sie konnte sich nicht von ihnen trennen, oder umgekehrt. Da war eine gefühlsmäßige Bindung zwischen ihr und ihnen, die gegen alle Regeln verstieß. Die beiden gingen ihr so auf die Nerven, dass sie sich nach jeder Sitzung fühlte, als bräuchte sie Kopfschmerztabletten. Muttersöhnchen. Sucker. Und sie ließ sie saugen. Sie sagte, dass sie sie am liebsten wie große Teddybären in die Arme genommen und gestreichelt hätte, genau das wäre nämlich die menschliche Berührung, die ihnen fehlte! Beide sind natürlich latent schwul, wollen aber den Tatsachen nicht ins Auge blicken. Sie nannte sie Erzschwule, und es juckte sie in den Fingern, die beiden aus ihrem Schrank zu zerren.
    Liina verstummte. Auf einmal sagte sie und schaute dabei Karl Ástuson direkt in die Augen, als ginge ihn die Sache etwas an: Sie sehnte sich nach einem Kind.
    Tatsächlich?
    Ja. Aber sie hat es nie direkt gesagt.
    Woher weißt du es denn, wenn sie es nie gesagt hat?
    Ihre beiden Mohikaner haben sie verraten. Sie hat die beiden wie die krassesten Muttersöhne bemuttert. Robin und Markson waren die Brustkinder, nach denen sie sich sehnte, und sie saugten sich an der Pseudomama fest, denn sie hat sich für sie aufgeknöpft.
    Diese Ausführungen waren ganz im Stil der Klischees aus dem
Guten Liebhaber
. Unglaublich, dieses psychologische Gewäsch, das intelligente und gebildete Leute von sich geben konnten. Karl schwieg und sah Liina fragend an.
    Aber Liina befand sich in ihrer eigenen Welt und schwieg länger als der Gast.
    Weshalb in aller Welt hätte sie es geheim halten sollen, wenn sie gerne ein Kind gehabt hätte?, fragte er schließlich.
    Aus Angst davor, dass ich sie darin bestärken würde, den Wunsch in die Tat umzusetzen.
    Wie bitte?
    Sie wusste selber ganz genau, dass ein Kind in ihrem Leben nichts zu suchen hatte. Das änderte aber nichts daran, dass sie sich intensiv nach einem sehnte. Ich bin mir sicher, dass es ihr innerster und tiefster Wunsch war.
    Und weshalb hat sie sich nach einem Kind gesehnt, fragte Karl in einem derartigen Ton der Verwunderung, dass Liina Minuti laut lachen musste.
    Die unwahrscheinlichsten Leute sehnen sich nach einer Familie, sagte sie. Leute, von denen man das nie geglaubt hätte. Und es war Doreens sehnlichster Wunsch, bedingungslos zu lieben. Dazu ist aber, abgesehen von einer Mutter, niemand in der Lage.
    Niemand … abgesehen von einer Mutter …
    Wenn irgendjemand bedingungslos geliebt worden war, dann der kleine Kalli Knirps, Karl Ástuson, der Sohn seiner Mutter. Seine Gedanken schweiften ab, in das Eckhaus mit Musik, und er hörte gerade noch den Rest von dem, was Liina sagte:
    Doreen wäre keine gute Mutter geworden, und das wusste sie auch ganz genau. Man kann auch seine Zweifel daran haben, ob sie für ihre beiden Mohikaner eine gute Ersatzmutter gewesen ist. Ich glaube, sie wären bei jemand anderem besser dran gewesen. Aber es ist ihr gelungen, die beiden zusammenzubringen – nach ihrem Tod.
    Und wie hat sie das zustande gebracht?
    Robin und Markson haben sich im Wartezimmer von Melanie van der Stein getroffen. Da war irgendein Fehler passiert, zwei Patienten waren zum gleichen Termin gebucht.

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