Der gute Liebhaber
Die beiden kamen ins Gespräch, und Robin hat Markson anvertraut, dass seine Psychiaterin Selbstmord begangen und ihm an ihrer Stelle Melanie van der Stein empfohlen hatte. Also, es konnte ja wohl kaum viele Psychiater in New York geben, die sich das Leben nahmen und Melanie van der Stein empfahlen.
Doreen muss Melanie gebeten haben, die Termine für die beiden so zu legen, dass sie sich im Wartezimmer treffen mussten. Sie kannte sie gut genug, um zu wissen, dass sie ein wunderbares Paar abgeben würden, darüber hat sie oft mit mir gesprochen: Wie schade es wäre, dass es ihr nicht gestattet war, die beiden zusammenzubringen. Und dafür zu sorgen, dass sie das Einzige bekämen, was ihnen fehlte. Etwas, was sie ihnen nicht geben konnte. Menschliche Berührung. Ich wünschte so sehr, sie könnte erfahren, wie es gelaufen ist.
Karl Ástusons Gedanken gingen wieder zurück zu dem Haus mit dem Abschiedswalzer und dem Ja-Tango:
Ich wünschte so sehr, sie könnte erfahren, wie es gelaufen ist.
Der ständig wiederkehrende Satz, nachdem seine Mutter gestorben war. Sie hatte nie erfahren, wie er beim Abitur abgeschnitten hatte: Bester auf dem mathematischen Zweig, weil er entschlossen war, seine Mutter dafür zu entschädigen, dass er in der Klasse davor nur Zweitbester geworden war. Das war nämlich das Letzte gewesen, was sie in diesem Leben erfahren hatte.
Schade, dass der Sport deine Noten gedrückt hat.
Die vorletzten Worte seiner Mutter.
Liina Minuti war aufgestanden, und Karl Ástuson legte das als ein Zeichen aus, dass er zu gehen hatte. Aber sie sagte:
Ich möchte dir die Briefe zeigen, die sie ihnen geschrieben hat. Sie hat dich sehr geschätzt, deswegen bin ich mir sicher, dass sie nichts dagegen hätte.
Hat sie Fotokopien von den Briefen an die beiden gemacht?
Ja, das hat sie. Ich weiß nicht genau, wozu. Es sei denn, dass ich sie dir zeigen sollte.
Das kann nicht sein. Doreen konnte nicht wissen, dass ich dich besuchen würde.
Doreen hat ein bisschen weiter als nur bis zu ihrer Nasenspitze sehen können.
Das klang ganz ähnlich wie das, was Sigríður über Una gesagt hatte:
Una entgeht nichts.
Dasselbe konnte man aber auch über Sigríður Sherlock sagen, gar nicht zu reden von Lotta. Er war umringt von Frauen, die weiter als nur bis zu ihrer Nasenspitze sehen konnten, denen nichts entging. Und zwar von Anfang an, bei Ástamama war es sogar so krass gewesen, dass ihr Sohn in den ersten Jahren nicht viele Worte von sich gab. Dessen bedurfte es nämlich nicht – seine Mutter sah gleich, wenn ihm etwas fehlte, wenn etwas los war.
Unangenehmer Gedanke, Briefe zu lesen, die nicht an ihn gerichtet waren. Als würde man heimlich eine Schublade öffnen. Aber er fügte sich und stellte sich vor, damit Doreen Ash einen verspäteten Gefallen zu tun.
Lieber Robin,
nun steht das bevor, was in Handbüchern nicht vorgesehen ist. Ich bitte dich von ganzem Herzen, mir zu verzeihen, auch wenn das, was ich vorhabe, dir gegenüber unverzeihlich ist. Ich enttäusche dein Vertrauen, und das ist in gewissem Sinne das Schlimmste von allem, nicht zuletzt deswegen, weil ich mich nicht weniger an dich gehängt habe als du dich an mich.
Verzeih mir auch, dass ich dir nicht erklären kann, weshalb ich nicht mehr leben will. Es ist auf seine Weise einfach viel zu banal. Wenn ich irgendwelches Anstandsgefühl hätte, würde ich mich schämen.
Ich bitte dich inständig, zu einem anderen Psychiater zu gehen. Ich empfehle dir Melanie van der Stein, und ich füge dir ihre Karte bei. Ich habe sie auch vorbereitet, sie weiß von dir. Du würdest sofort einen Termin bekommen.
Zum Schluss möchte ich dir sagen, dass du mir sehr viel bedeutest und es mir leichter gemacht hast, zu existieren. Ich mag dich von ganzem Herzen, und du bist einer der liebenswertesten und amüsantesten Menschen, die ich kenne. Ich hoffe sehr, ich habe etwas dazu beigetragen, dass du gut mit dem Leben fertig wirst, auch wenn ich dich jetzt furchtbar enttäusche.
Aufrichtig
Deine Doreen Ash
Mein lieber Markson,
ich kann nicht anders, ich muss dir schreiben und dich um Verzeihung bitten. Du bist der Patient, der am längsten bei mir gewesen ist. Außer dir gibt es nur noch einen anderen in meinem Patientenkreis, der mir ebenso viel bedeutet wie du, und das verstößt gegen alle ärztlichen Grundsätze. Ich schäme mich dir gegenüber, dass ich jetzt aufgebe, und ich bitte dich darum, niemals auch nur im Traum daran zu denken, mich zum
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