Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der gute Mensch von Sezuan

Der gute Mensch von Sezuan

Titel: Der gute Mensch von Sezuan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
Vom Netzwerk:
alle sind sich einig, daß sie ein gutes Mädchen ist. Sie heißt schon überall: Der Engel der Vorstädte. So viel Gutes geht von ihrem Laden aus. Was immer der Schreiner Lin To sagen mag!
    DER ERSTE GOTT Was heißt das? Spricht der Schreiner Lin To denn schlecht von ihr?
    WANG Ach, er sagt nur, die Stellagen im Laden seien nicht voll bezahlt worden.
    DER ZWEITE GOTT Was sagst du da? Ein Schreiner wurde nicht bezahlt? In Shen Tes Laden? Wie konnte sie das zulassen?
    WANG Sie hatte wohl das Geld nicht.
    DER ZWEITE GOTT Ganz gleich, man bezahlt, was man schuldig ist. Schon der bloße Anschein von Unbilligkeit muß vermieden werden. Erstens muß der Buchstabe der Gebote erfüllt werden, zweitens ihr Geist.
    WANG Aber es war nur der Vetter, Erleuchtete, nicht sie selber!
    DER ZWEITE GOTT Dann übertritt dieser Vetter nicht mehr ihre Schwelle!
    WANG niedergeschlagen: Ich verstehe, Erleuchteter! Zu Shen Tes Verteidigung laß mich vielleicht nur noch geltend machen, daß der Vetter als durchaus achtbarer Geschäftsmann gilt. Sogar die Polizei schätzt ihn.
    DER ERSTE GOTT Nun, wir wollen diesen Herrn Vetter ja auch nicht ungehört verdammen. Ich gebe zu, ich verstehe nichts von Geschäften, vielleicht muß man sich da erkundigen, was das Übliche ist. Aber überhaupt Geschäfte! Ist das denn so nötig? Immer machen sie jetzt Geschäfte! Machten die sieben guten Könige Geschäfte? Verkaufte der gerechte Kung Fische? Was haben Geschäfte mit einem rechtschaffenen und würdigen Leben zu tun?
    DER ZWEITE GOTT sehr verschnupft: Jedenfalls darf so etwas nicht mehr vorkommen.
    Er wendet sich zum Gehen. Die beiden anderen Götter wenden sich auch.
    DER DRITTE GOTT als letzter, verlegen: Entschuldige den etwas harten Ton heute! Wir sind übermüdet und nicht ausgeschlafen. Das Nachtlager! Die Wohlhabenden geben uns die allerbesten Empfehlungen an die Armen, aber die Armen haben nicht Zimmer genug.
    DIE GÖTTER sich entfernend, schimpfen: Schwach, die beste von ihnen! Nichts Durchschlagendes! Wenig, wenig! Alles natürlich von Herzen, aber es sieht nach nichts aus! Sie müßte doch zumindest …
    Man hört sie nicht mehr.
    WANG ruft ihnen nach: Ach, seid nicht ungnädig, Erleuchtete! Verlangt nicht zu viel für den Anfang!

4
Platz vor Shen Tes Tabakladen
    Eine Barbierstube, ein Teppichgeschäft und Shen Tes Tabakladen. Es ist Montag. Vor Shen Tes Laden warten zwei Überbleibsel der achtköpfigen Familie, der Großvater und die Schwägerin, sowie der Arbeitslose und die Shin.
    DIE SCHWÄGERIN Sie war nicht zu Hause gestern nacht!
    DIE SHIN Ein unglaubliches Benehmen! Endlich ist dieser rabiate Herr Vetter weg, und man bequemt sich, wenigstens ab und zu etwas Reis von seinem Überfluß abzugeben, und schon bleibt man nächtelang fort und treibt sich, die Götter wissen wo, herum!
    Aus der Barbierstube hört man laute Stimmen. Heraus stolpert Wang, ihm folgt der dicke Barbier, Herr Shu Fu, eine schwere Brennschere in der Hand.
    HERR SHU FU Ich werde dir geben, meine Kunden zu belästigen mit deinem verstunkenen Wasser! Nimm deinen Becher und scher dich fort!
    Wang greift nach dem Becher, den Herr Shu Fu ihm hinhält, und der schlägt ihm mit der Brennschere auf die Hand, daß Wang laut aufschreit.
    HERR SHU FU Da hast du es! Laß dir das eine Lektion sein! Er schnauft in seine Barbierstube zurück.
    DER ARBEITSLOSE hebt den Becher auf und reicht ihn Wang: Für den Schlag kannst du ihn anzeigen.
    WANG Die Hand ist kaputt.
    DER ARBEITSLOSE Ist etwas zerbrochen drin?
    WANG Ich kann sie nicht mehr bewegen.
    DER ARBEITSLOSE Setz dich hin und gib ein wenig Wasser drüber!
    Wang setzt sich.
    DIE SHIN Jedenfalls hast du das Wasser billig.
    DIE SCHWÄGERIN Nicht einmal einen Fetzen Leinen kann man hier bekommen früh um acht. Sie muß auf Abenteuer ausgehen! Skandal!
    DIE SHIN düster: Vergessen hat sie uns!
    Die Gasse herunter kommt Shen Te, einen Topf mit Reis tragend.
    SHEN TE zum Publikum: In der Frühe habe ich die Stadt nie gesehen. In diesen Stunden lag ich immer noch mit der schmutzigen Decke über der Stirn, in Furcht vor dem Erwachen. Heute bin ich zwischen den Zeitungsjungen gegangen, den Männern, die den Asphalt mit Wasser überspülen, und den Ochsenkarren mit dem frischen Gemüse vom Land. Ich bin einen langen Weg von Suns Viertel bis hierher gegangen, aber mit jedem Schritt wurde ich lustiger. Ich habe immer gehört, wenn man liebt, geht man auf Wolken, aber das Schöne ist, daß man auf der Erde geht, dem Asphalt. Ich sage

Weitere Kostenlose Bücher