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Der gute Mensch von Sezuan

Der gute Mensch von Sezuan

Titel: Der gute Mensch von Sezuan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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sondern zum Richter! Er kann vom Barbier, der reich ist, Schadenersatz verlangen.
    WANG Meinst du, da ist eine Aussicht?
    DIE SHIN Wenn sie wirklich kaputt ist. Aber ist sie kaputt?
    WANG Ich glaube. Sie ist schon ganz dick. Wäre es eine Lebensrente?
    DIE SHIN Du mußt allerdings einen Zeugen haben.
    WANG Aber ihr alle habt es ja gesehen! Ihr alle könnt es bezeugen.
    Er blickt um sich. Der Arbeitslose, der Großvater und die Schwägerin sitzen an der Hauswand und essen. Niemand sieht auf.
    SHEN TE zur Shin: Sie selber haben es doch gesehen!
    DIE SHIN Ich will nichts mit der Polizei zu tun haben.
    SHEN TE zur Schwägerin: Dann Sie!
    DIE SCHWÄGERIN Ich? Ich habe nicht hingesehen!
    DIE SHIN Natürlich haben Sie hingesehen. Ich habe gesehen, daß Sie hingesehen haben! Sie haben nur Furcht, weil der Barbier zu mächtig ist.
    SHEN TE zum Großvater: Ich bin sicher, Sie bezeugen den Vorfall.
    DIE SCHWÄGERIN Sein Zeugnis wird nicht angenommen. Er ist gaga.
    SHEN TE zum Arbeitslosen: Es handelt sich vielleicht um eine Lebensrente.
    DER ARBEITSLOSE Ich bin schon zweimal wegen Bettelei aufgeschrieben worden. Mein Zeugnis würde ihm eher schaden.
    SHEN TE ungläubig: So will keines von euch sagen, was ist? Am hellen Tage wurde ihm die Hand zerbrochen, ihr habt alle zugeschaut, und keines will reden? Zornig.
    Oh, ihr Unglücklichen!
    Euerm Bruder wird Gewalt angetan, und ihr kneift die Augen zu!
    Der Getroffene schreit laut auf, und ihr schweigt?
    Der Gewalttätige geht herum und wählt sein Opfer
    Und ihr sagt: uns verschont er, denn wir zeigen kein Mißfallen.
    Was ist das für eine Stadt, was seid ihr für Menschen!
    Wenn in einer Stadt ein Unrecht geschieht, muß ein Aufruhr sein
    Und wo kein Aufruhr ist, da ist es besser, daß die Stadt untergeht
    Durch ein Feuer, bevor es Nacht wird!
    Wang, wenn niemand deinen Zeugen macht, der dabei war, dann will ich deinen Zeugen machen und sagen, daß ich es gesehen habe.
    DIE SHIN Das wird Meineid sein.
    WANG Ich weiß nicht, ob ich das annehmen kann. Aber vielleicht muß ich es annehmen. Auf seine Hand blickend, besorgt. Meint ihr, sie ist auch dick genug? Es kommt mir vor, als sei sie schon wieder abgeschwollen?
    DER ARBEITSLOSE beruhigt ihn: Nein, sie ist bestimmt nicht abgeschwollen.
    WANG Wirklich nicht? Ja, ich glaube auch, sie schwillt sogar ein wenig mehr an. Vielleicht ist doch das Gelenk gebrochen! Ich laufe besser gleich zum Richter. Seine Hand sorgsam haltend, den Blick immer darauf gerichtet, läuft er weg.
    Die Shin läuft in die Barbierstube.
    DER ARBEITSLOSE Sie läuft zum Barbier sich einschmeicheln.
    DIE SCHWÄGERIN Wir können die Welt nicht ändern.
    SHEN TE entmutigt: Ich habe euch nicht beschimpfen wollen. Ich bin nur erschrocken. Nein, ich wollte euch beschimpfen. Geht mir aus den Augen!
    Der Arbeitslose, die Schwägerin und der Großvater gehen essend und maulend ab.
    SHEN TE zum Publikum:
    Sie antworten nicht mehr. Wo man sie hinstellt
    Bleiben sie stehen, und wenn man sie wegweist
    Machen sie schnell Platz!
    Nichts bewegt sie mehr. Nur
    Der Geruch des Essens macht sie aufschauen.
    Eine alte Frau kommt gelaufen. Es ist Suns Mutter, Frau Yang.
    FRAU YANG atemlos: Sind Sie Fräulein Shen Te? Mein Sohn hat mir alles erzählt. Ich bin Suns Mutter, Frau Yang. Denken Sie, er hat jetzt die Aussicht, eine Fliegerstelle zu bekommen! Heute morgen, eben vorhin, ist ein Brief gekommen, aus Peking. Von einem Hangarverwalter beim Postflug.
    SHEN TE Daß er wieder fliegen kann? Oh, Frau Yang!
    FRAU YANG Aber die Stelle kostet schreckliches Geld: 500 Silberdollar.
    SHEN TE Das ist viel, aber am Geld darf so etwas nicht scheitern. Ich habe doch den Laden.
    FRAU YANG Wenn Sie da etwas tun könnten!
    SHEN TE umarmt sie: Wenn ich ihm helfen könnte!
    FRAU YANG Sie würden einem begabten Menschen eine Chance geben!
    SHEN TE Wie dürfen sie einen hindern, sich nützlich zu machen! Nach einer Pause. Nur, für den Laden werde ich zu wenig bekommen, und die 200 Silberdollar Bargeld hier sind bloß ausgeliehen. Die freilich können Sie gleich mitnehmen. Ich werde meine Tabakvorräte verkaufen und sie davon zurückzahlen. Sie gibt ihr das Geld der beiden Alten.
    FRAU YANG Ach, Fräulein Shen Te, das ist Hilfe am rechten Ort. Und sie nannten ihn schon den toten Flieger hier in der Stadt, weil sie alle überzeugt waren, daß er so wenig wie ein Toter je wieder fliegen würde.
    SHEN TE Aber 300 Silberdollar brauchen wir noch für die Fliegerstelle. Wir müssen nachdenken, Frau Yang.

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