Der gute Mensch von Sezuan
Ihre Kusine. Da sie keine Antwort erhält, läuft sie weg.
Shui Ta läuft wieder herum, bis Herr Shu Fu eintritt, gefolgt von der Shin, die sich jedoch auf einen Wink Herrn Shu Fus zurückziehen muß.
SHUI TA eilt ihm entgegen: Lieber Herr, vom Hörensagen weiß ich, daß Sie für meine Kusine einiges Interesse angedeutet haben. Lassen Sie mich alle Gebote der Schicklichkeit, die Zurückhaltung fordern, beiseite setzen, denn das Fräulein ist im Augenblick in größter Gefahr.
HERR SHU FU Oh!
SHUI TA Noch vor wenigen Stunden im Besitz eines eigenen Ladens, ist meine Kusine jetzt wenig mehr als eine Bettlerin. Herr Shu Fu, dieser Laden ist ruiniert.
HERR SHU FU Herr Shui Ta, der Zauber Fräulein Shen Tes besteht kaum in der Güte ihres Ladens, sondern in der Güte ihres Herzens. Der Name, den dieses Viertel dem Fräulein verlieh, sagt alles: Der Engel der Vorstädte!
SHUI TA Lieber Herr, diese Güte hat meine Kusine an einem einzigen Tage 200 Silberdollar gekostet! Da muß ein Riegel vorgeschoben werden.
HERR SHU FU Gestatten Sie, daß ich eine abweichende Meinung äußere: dieser Güte muß der Riegel erst recht eigentlich geöffnet werden: Es ist die Natur des Fräuleins, Gutes zu tun. Was bedeutet da die Speisung von vier Menschen, die ich sie jeden Morgen mit Rührung vornehmen sehe! Warum darf sie nicht vierhundert speisen? Ich höre, sie zerbricht sich zum Beispiel den Kopf, wie ein paar Obdachlose unterbringen. Meine Häuser hinter dem Viehhof stehen leer. Sie sind zu ihrer Verfügung und so weiter und so weiter. Herr Shui Ta, dürfte ich hoffen, daß solche Ideen, die mir in den letzten Tagen gekommen sind, bei Fräulein Shen Te Gehör finden könnten?
SHUI TA Herr Shu Fu, sie wird so hohe Gedanken mit Bewunderung anhören.
Herein Wang mit dem Polizisten. Herr Shu Fu wendet sich um und studiert die Stellagen.
WANG Ist Fräulein Shen Te hier?
SHUI TA Nein.
WANG Ich bin Wang, der Wasserverkäufer. Sie sind wohl Herr Shui Ta?
SHUI TA Ganz richtig. Guten Tag, Wang.
WANG Ich bin befreundet mit Shen Te.
SHUI TA Ich weiß, daß Sie einer ihrer ältesten Freunde sind.
WANG zum Polizisten: Sehen Sie? Zu Shui Ta: Ich komme wegen meiner Hand.
DER POLIZIST Kaputt ist sie, das ist nicht zu leugnen.
SHUI TA schnell: Ich sehe, Sie brauchen eine Schlinge für den Arm. Er holt aus dem Gelaß einen Shawl und wirft ihn Wang zu.
WANG Aber das ist doch der neue Shawl.
SHUI TA Sie braucht ihn nicht mehr.
WANG Aber sie hat ihn gekauft, um jemand Bestimmtem zu gefallen.
SHUI TA Das ist nicht mehr nötig, wie es sich herausgestellt hat.
WANG macht sich eine Schlinge aus dem Shawl: Sie ist meine einzige Zeugin.
DER POLIZIST Ihre Kusine soll gesehen haben, wie der Barbier Shu Fu mit der Brennschere nach dem Wasserverkäufer geschlagen hat. Wissen Sie davon?
SHUI TA Ich weiß nur, daß meine Kusine selbst nicht zur Stelle war, als der kleine Vorfall sich abspielte.
WANG Das ist ein Mißverständnis! Lassen Sie Shen Te erst da sein, und alles klärt sich auf. Shen Te wird alles bezeugen. Wo ist sie?
SHUI TA ernst: Herr Wang, Sie nennen sich einen Freund meiner Kusine. Meine Kusine hat eben jetzt sehr große Sorgen. Sie ist von allen Seiten erschreckend ausgenutzt worden. Sie kann sich in Zukunft nicht mehr die allerkleinste Schwäche leisten. Ich bin überzeugt, Sie werden nicht verlangen, daß sie sich vollends um alles bringt, indem sie in Ihrem Fall anderes als die Wahrheit sagt.
WANG verwirrt: Aber ich bin auf ihren Rat zum Richter gegangen.
SHUI TA Sollte der Richter Ihre Hand heilen?
DER POLIZIST Nein. Aber er sollte den Barbier zahlen machen.
Herr Shu Fu dreht sich um.
SHUI TA Herr Wang, es ist eines meiner Prinzipien, mich nicht in einen Streit zwischen meinen Freunden zu mischen. Shui Ta verbeugt sich vor Herrn Shu Fu, der sich zurückverbeugt.
WANG die Schlinge wieder abnehmend und sie zurücklegend, traurig: Ich verstehe.
DER POLIZIST Worauf ich wohl wieder gehen kann. Du bist mit deinem Schwindel an den Unrechten gekommen, nämlich an einen ordentlichen Mann. Sei das nächste Mal ein wenig vorsichtiger mit deinen Anklagen, Kerl. Wenn Herr Shu Fu nicht Gnade vor Recht ergehen läßt, kannst du noch wegen Ehrabschneidung ins Kittchen kommen. Ab jetzt!
Beide ab.
SHUI TA Ich bitte, den Vorgang zu entschuldigen.
HERR SHU FU Er ist entschuldigt. Dringend. Und die Sache mit diesem »bestimmten Jemand« er zeigt auf den Shawl ist wirklich vorüber? Ganz aus?
SHUI TA Ganz. Er ist durchschaut.
Weitere Kostenlose Bücher