Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der gute Psychologe - Shpancer, N: Der gute Psychologe - The good Psychologist

Der gute Psychologe - Shpancer, N: Der gute Psychologe - The good Psychologist

Titel: Der gute Psychologe - Shpancer, N: Der gute Psychologe - The good Psychologist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noam Shpancer
Vom Netzwerk:
nicht über Sprache, und hoch entwickeltes Denken erfordert Sprache. Das ist ein Grund. Was noch?«
    »Es ist sich seiner selbst nicht bewusst«, sagt Jennifer.
    »Führen Sie das bitte aus.«
    »Es weiß nichts von seiner Existenz.«
    »In der Tat«, sagt der Psychologe. »Der Mensch hat zwei Systeme entwickelt, die über das Zebra hinausgehen: die Fähigkeit, konkrete Realität durch Symbole darzustellen, hauptsächlich durch Sprache, und die Fähigkeit, etwas über das Wissen selbst zu wissen. Worin, mögen Sie fragen, liegt hier die Relevanz? Was hat ein Zebra mit Therapie zu tun? Nun, das Zebra kann viele Dinge tun – Nahrung finden, einem Raubtier entkommen, sich paaren und Junge aufziehen. Doch es ist sich seines Wissens nicht bewusst – soweit wir davon Kenntnis haben. Uns ist diese einfache Existenz eines Zebras nicht vergönnt. Wir als menschliche Wesen müssen im Reich des Uns-Selbst-Bewusst-Seins
unseren Weg finden, und das ist nicht einfach. Zum Beispiel haben Sie alle vor mir gesessen und gelegentlich geblinzelt. Sie wissen, wie man blinzelt. Doch jetzt sind Sie sich dieses Blinzelns bewusst, und das Blinzeln hat sich dadurch verändert. Sie denken darüber nach: Ist mein Blinzeln normal? Können andere mich blinzeln sehen? Werde ich dieses zwanghafte Blinzeln je wieder loswerden? Bewusstsein belastet das Wissen mit allen möglichen Ablenkungen. Das Gleiche gilt für die linguistische Darstellung. Das Zebra muss sich mit einem Löwen herumschlagen. Und dieser Löwe ist manchmal da und manchmal nicht. Wir haben den Löwen, aber auch das Wort Löwe. Und das Wort ist immer präsent, immer zugänglich, selbst nachdem der richtige Löwe verschwunden ist. Es gibt eine Geschichte von zwei Mönchen, einem alten Meister und seinem jungen Novizen, die am Fluss einer jungen Frau begegnen. Das Wasser tobt, sagt die Frau, können Sie mich hinübertragen? Der alte Mönch hebt sie hoch, trägt sie auf die andere Seite, setzt sie ab, und die Mönche setzen schweigend ihren Marsch fort. Nach ein paar Stunden kann der Novize seinen inneren Aufruhr und sein Entsetzen nicht mehr länger zurückhalten. Er wendet sich an seinen Lehrer und fragt: Wie konnten Sie dieses Mädchen in Ihre Arme nehmen? Wissen Sie nicht, dass eine solche Berührung unseren Gesetzen widerspricht? Ich, antwortet der alte Lehrer, habe das Mädchen am Fluss zurückgelassen. Du trägst es immer noch mit dir herum.«
    Er blickt sich in dem stillen Klassenzimmer um und wartet.
    »Was hat das mit uns zu tun?«, will er wissen.
    »Das Zebra«, sagt Jennifer und richtet sich auf, »hat den Löwen dort zurückgelassen, wo er verschwunden ist. Doch wir Menschen nehmen ihn kraft unserer Gedanken und unserer Sprache überallhin mit! Wir stellen die Verbindung her, entwickeln
Assoziationen – so wie das, was wir über Pawlow gelernt haben –, bis das Wort Löwe sich in unserem Kopf mit dem richtigen Löwen verbindet und wir auf das Wort genauso reagieren wie auf den richtigen Löwen.«
    »Ja«, sagt der Psychologe und nickt, beugt sich vor und lächelt ihr zu, »das ist der Grund, weshalb wir keine Ruhe finden. Wir werden von Geistern verfolgt, manchmal bis ins Sprechzimmer eines Psychologen hinein. Deshalb ist es Aufgabe des Psychologen, den Klienten darin zu unterweisen, Worte, die in seinem Denken grobe Verallgemeinerungen und Etikettierungen darstellen, von konkreten Ereignissen und Dingen in der Welt zu unterscheiden. Ein Wort kann manchmal so stark mit elementarer Bedeutung überfrachtet werden, dass es den Klienten quält und ihn lähmt. Ein solches Wort muss neutralisiert werden, ein wenig abgespeckt. Das Wort Löwe hat immerhin keine Zähne. Und das Etikett Angst ist nur ein Schlagwort, eine ziemlich behelfsmäßige Verkürzung einer nuancierten und diffizilen menschlichen Erfahrung. Wenn der Klient sagt Ich habe Angst, müssen wir erkennen, dass seine Situation nicht die eines ängstlichen Menschen ist, sondern eines Menschen, der sich seiner Angst bewusst ist oder eines Menschen, der sagt, dass er Angst hat. Das Bewusstsein und die Etikettierung sind problematischer als die körperlichen Empfindungen, für die sie anscheinend stehen.«
    »Ich verstehe das nicht«, sagt Jennifer mit gerunzelter Stirn. »Sie sagen, der Mensch sei für Bewusstsein geschaffen; wir sind keine Zebras. Und dann sagen Sie, dass das Bewusstsein die Dinge ruiniert und uns Probleme bereitet. Wenn diese Probleme unvermeidlich sind, ein notwendiges Ergebnis unserer Anlagen,

Weitere Kostenlose Bücher