Der Händler der verfluchten Bücher (German Edition)
leuchteten hell am Himmel.
Uberto konnte den besorgten Blick des Franzosen nicht übersehen, und zum ersten Mal las er Angst in seinen Augen.
»Du hast ihn sehr gern«, bemerkte er mit einer Spur Neid. »Ihr wirkt beinahe wie Vater und Sohn.«
»Wir kennen uns noch nicht so lange. Ein gutes Jahr«, erwiderte Willalme. »Aber ich verdanke ihm mein Leben, und deshalb bleibe ich an seiner Seite.«
»Wie kam es dazu?«, fragte Uberto und ruderte unbeirrt weiter. »Erzähl mir davon.«
»Wie du weißt, habe ich auf einem Schiff arabischer Piraten gelebt«, sagte Willalme. »Ich gehörte zu ihnen und hatte gelernt zu töten … Eines Tages, wir befanden uns auf offener See in der Nähe von Akkon, enterte uns ein Schiff der Kreuzfahrer und tötete unsere gesamte Mannschaft. Ich trauere ihnen nicht nach, das waren skrupellose Mörder, eigentlich bekamen sie nur, was sie verdienten … Und dasselbe galt auch für mich.«
»Die Kreuzfahrer nahmen dich gefangen?«, fragte Uberto.
»Ja«, antwortete Willalme, während er sich wieder an das Gefecht erinnerte. Nach einem langen und erbitterten Kampf war er allein übrig geblieben. Die christlichen Soldaten hatten sich um ihn geschlossen und ihn beinahe neugierig angestarrt: Schließlich bekam man nicht alle Tage einen Kämpfer mit blonden Haaren und blauen Augen unter den Muselmanen zu sehen. Trotz der aussichtslosen Lage hatte Willalme sich nicht ergeben, sondern blind vor Wut Hiebe ausgeteilt. Schließlich hatten die Feinde ihn eng umringt, ihn entwaffnet, ihn schier endlos verprügelt und schließlich bewusstlos unter Deck geschleppt, wo sie ihn wie eine Jagdtrophäe an einem Seil aufgehängt hatten. Willalme erinnerte sich an das entsetzliche Gefühl, als er dort hing wie ein Tier, dem gleich der Balg abgezogen wird, und Hunger und Durst ausgeliefert war. Nach tagelangem Leiden, er wollte sich schon dem Tod ergeben, hatte plötzlich ein Mann vor ihm gestanden.
»Hilf mir …«, hatte Willalme ihn keuchend angefleht.
Der Fremde war zu ihm gekommen und hatte ihm zu trinken gegeben. »Überlass dich nicht den Schmerzen«, hatte er gesagt. »Ich werde für dich sorgen.«
Und so geschah es. Von diesem Augenblick an hatte sich der Händler um Willalme gekümmert.
»Es war reiner Zufall, dass Ignazio in Akkon gerade an Bord dieses Schiffes gegangen war«, fuhr er fort, während Uberto ihm gebannt zuhörte. »Als er mich dem Tode nahe dort fand, hatte er Mitleid mit mir und zahlte den Kreuzrittern ein Lösegeld, damit sie mich freiließen. Seit dieser Zeit sind unser beider Leben vereint.«
Als er seine Erzählung beendet hatte, versank Willalme in tiefes Schweigen. Er sah zu dem Händler hin, der anscheinend nicht erwachen wollte. »Überlass dich nicht den Schmerzen, mein Freund«, flüsterte er ihm zu. »Nicht jetzt, wo du deine Suche zu Ende gebracht hast.«
Hätte er sich nur an ein Gebet erinnert, ein christliches oder muselmanisches, wäre jetzt der richtige Zeitpunkt gewesen, um es zu sprechen.
88
Das Boot legte früh am Morgen in der Nähe des Klosters Santa Maria del Mare an.
Kaum hatte der Kahn das Ufer berührt, sprang Uberto schon an Land und rannte auf der Suche nach Hilfe auf den Hof und die umliegenden Gebäude zu. Er war zwar nur ein paar Monate fort gewesen, doch die Zeit kam ihm wie eine Ewigkeit vor.
Sogleich hatten sich etliche Mönche um ihn geschart, die sich über seine unverhoffte Ankunft freuten. Sie bestürmten ihn mit Umarmungen und Fragen, doch Uberto bedeutete ihnen zu schweigen und forderte sie auf, ihm zum Boot zu folgen.
Am Ufer des Kanals trafen sie auf einen Mann mit blonden Haaren, der den leblosen Körper eines Sterbenden in seinen Armen hielt. Die Mönche erkannten ihn sofort.
»Bitte helft ihm!«, rief Uberto. »Er ist verwundet und hat hohes Fieber!«
Daraufhin traten zwei kräftige Novizen vor und halfen Willalme, den Händler zu tragen, dann brachten sie ihn rasch ins Kloster.
Dank der Pflege der Mönche war Ignazio bereits nach einer Woche wieder auf den Beinen. Uberto wich ihm nicht von der Seite und kümmerte sich unermüdlich um ihn.
Eines Morgens, als Ignazio schon wiederhergestellt war, trat der Junge an sein Bett und schien ihm etwas Wichtiges sagen zu wollen. Ignazio, der gerade erst erwacht war, setzte sich auf den Rand seines Strohlagers und sah ihn neugierig an.
Uberto reichte ihm zwei Dinge: einen Stapel zusammengehefteter Pergamentblätter und eine kleine Schriftrolle. »Ich habe die Teile des ›Uter
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