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Der Händler der verfluchten Bücher (German Edition)

Der Händler der verfluchten Bücher (German Edition)

Titel: Der Händler der verfluchten Bücher (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcello Simoni
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töten? Oder erst den Jungen?«
    Ignazio hob ergeben die Hände. Erst da fiel ihm ein metallener Gegenstand auf, der unter Viviëns Umhang hervorblitzte, ein kreuzförmiger Dolch. »Das Geheimnis besteht in dem magischen Quadrat«, sagte er, um den anderen abzulenken. »Man muss nur herausfinden, auf welche Himmelssphäre es sich bezieht.«
    »Erklär das genauer«, forderte ihn Viviën auf und ging zum Tisch, auf dem die zusammengehefteten Pergamentblätter lagen.
    Ignazio war vollkommen erschöpft, doch er nahm seine letzten Kräfte zusammen, um die Gelegenheit zu nutzen. Mit einer plötzlichen, ruckartigen Bewegung glitt seine Hand unter den Umhang des Gegners, zog den Dolch heraus und stieß ihn Viviën blitzschnell in den Nacken, dass die Klinge bis zum Heft ins Fleisch glitt.
    Viviën stöhnte überrascht auf, dann erfasste ihn ein Zittern. Die Eisenstange entglitt ihm, er fuhr mit der Hand zur Wunde und zog den Dolch mit einem Ruck heraus. Ein Blutschwall schoss aus der Wunde. Viviën wich schwankend zurück, riss sich die rote Maske ab und enthüllte sein vernarbtes Gesicht, das sich nach Atem ringend verzerrte. Er starrte Ignazio zornentbrannt an und wollte ihn schon verfluchen. Doch seine Stimme brach, die entstellten Gesichtszüge verzogen sich zu einem Ausdruck des Erstaunens: Ignazio sah ihn keineswegs hasserfüllt an, nein, in seinen Augen lag Mitleid und keinerlei Groll.
    Viviën gestattete sich ein flüchtiges Lächeln, doch dann spürte er, dass sein Herz immer schwächer schlug. Er würde sterben! Unter der Last dieser entsetzlichen Gewissheit schleppte er sich nach hinten zum Fenster, eine unregelmäßige Blutspur auf dem Boden zurücklassend. Es sah aus, als wollte er fliehen, doch für ihn gab es weder einen Ort, an dem er sich verbergen, noch Namen, hinter denen er sich verstecken konnte.
    Seine gespaltenen Lippen öffneten sich. Zunächst entrang sich ihnen nur ein Gurgeln, doch dann flüsterten sie: »Nun bist du frei …«
    Ignazio lief zu ihm und nahm seine Hände, doch Viviën fühlte sich in seiner Verwirrung davon bedroht. Verängstigt wich er zurück, stieß gegen den niedrigen Fenstersims, strauchelte und fiel. Ignazio versuchte noch, ihn zu erreichen, doch er kam zu spät. Viviën stürzte aus dem Fenster in die Tiefe. An diesem Morgen wurde der letzte Rest Finsternis von der aufgehenden Sonne besiegt.
    Willalme, der gerade noch rechtzeitig gekommen war, um das Geschehene zu beobachten, stand da wie versteinert.
    Ignazio am Fenster sah hinunter zum Fuß des Turms, wo die Überreste des Mannes lagen, der einmal sein bester Freund gewesen war. Dann wandte er sich um und lief schwankend auf seine Gefährten zu. Er fühlte sich unendlich schwach.
    »Seid ihr unverletzt?«, fragte er und musterte die beiden aufmerksam, sein eigenes Gesicht war mit Blutergüssen überzogen.
    Uberto und Willalme nickten.
    Ignazio deutete auf das Heft und die Schriftrolle auf dem Tisch. »Nehmt sie mit …«
    Dann fühlte er, wie seine Kräfte ihn verließen. Er verdrehte die Augen und wurde ohnmächtig.

87
    »Diese Bastarde! Sieh nur, wie sie ihn zugerichtet haben!«, rief der Franzose, als er die Verbrennungen auf Ignazios Brust sah. »Er braucht dringend einen Arzt.«
    Das Gesicht des Händlers war leichenblass, die Augen von dunklen Schatten umgeben. Ihn so übel zugerichtet zu sehen, tat Uberto in der Seele weh. Er hätte alles getan, um ihm zu helfen.
    »Ich weiß, wohin wir ihn bringen«, erklärte er entschieden. »In mein Kloster, Santa Maria del Mare. Das ist der nächste Ort, den ich kenne. Wir sind schon auf halbem Weg, denn dieser Turm liegt ja weit im Süden von Venedig. Wenn wir uns beeilen, ist es nur eine knappe Tagesreise dorthin.«
    Willalme überlegte kurz, dann stimmte er zu und hob den bewusstlosen Ignazio auf. »Verlassen wir den Turm. Hilf mir beim Tragen.«
    »Warte.« Uberto nahm das Heft und die Schriftrolle vom Tisch und steckte beides in seine Tasche. »Wir wollen doch nach allem nicht das ›Uter Ventorum‹ vergessen!«, sagte er, dann verließen sie gemeinsam den alten Turm.
    Unten angekommen, hasteten sie zu dem Boot, das sie unter Zweigen versteckt hatten, stiegen hinein und ruderten eilends davon.
    Obwohl die Dunkelheit hereinbrach, machten Uberto und Willalme keine Anstalten, eine Rast einzulegen. Stumm ruderten sie und ließen Ignazio keinen Moment aus den Augen, der in eine Decke eingehüllt am Heck lag. Zum Glück war kein Nebel aufgezogen, und der Mond und die Sterne

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