Der Händler der verfluchten Bücher (German Edition)
dir kommen.«
»Gut.« Über Ignazios Gesicht huschte ein Lächeln. »Dann geh und such Willalme. Sag ihm, wir werden in zwei Tagen aufbrechen. Ich habe noch etwas zu erledigen.«
EPILOG
»Wissen. Können. Zuhören. Schweigen.«
Zarathustra
Sie waren schon lange Tage unterwegs und hatten bereits einige Zeit die Stadtmauern von Turin hinter sich gelassen, als Ignazio und seine Begleiter den Monte Musinè erreichten. Der Händler ließ Uberto und Willalme am Fuß des Berges warten und machte sich allein an den Aufstieg durch die Felslandschaft aus Vulkangestein. In seinem Gepäck befanden sich nur wenige Dinge: das Notizheft aus Pergament, die kleine Schriftrolle mit den sieben Beschwörungsformeln, ein Kochgefäß und ein Mörser.
In den vorangegangenen Tagen war Schnee gefallen und hatte die kahlen Abhänge mit einer weißen Schicht überzogen. In einen Wolfspelz gehüllt, stieg Ignazio auf zum Gipfel und hinterließ seine Abdrücke in der unberührten Schneedecke. Der Monte Musinè war ein Ort voller Geheimnisse, es hieß, dort gehe der Geist von Herodes auf einem Feuerkarren um. Außerdem versammelten sich Hexen zwischen den Felsen, um ihre Rituale zu feiern.
Als die Dunkelheit hereinbrach und der Wind heulend aufkam, beleuchtete Ignazio mit einer Fackel den Weg, bis er eine für seine Zwecke geeignete Lichtung fand. Er setzte sich auf einen Felsvorsprung und entzündete ein Feuer.
Er holte den Mörser hervor und gab die Zutaten des Haoma hinein, die er in Santiago gefunden hatte. Dann zerkleinerte er alles mit dem Stößel und mischte andere Kräuterextrakte hinzu, vermengte alles, bis es sich zu einer einheitlichen Masse verbunden hatte. Die gab er in das Kochgefäß, fügte Wasser hinzu und stellte es auf das Feuer.
Während er wartete, dass der Trank fertig wurde, stand er auf und zeichnete eine Abfolge geometrischer Figuren in den Schnee. Im spärlichen Licht war das nicht ganz einfach. Als er das Bild vollendet hatte, nahm er eine Handvoll Asche vom Rand des Feuers und füllte die in den Schnee eingegrabenen Linien damit, um sie deutlicher sichtbar zu machen. Danach setzte er sich wieder auf den Felsvorsprung und grübelte reglos über der Zeichnung.
Diesen Talisman hatte er aus den beiden geometrischen Figuren des »Uter Ventorum« zusammengefügt, der Tätowierung auf Gothus Rubers Schädel und dem magischen Quadrat. Temel und Kobabel. Er hatte lange dafür gebraucht, um zu begreifen, wie er sie einsetzen musste, dann war er auf den Gedanken gekommen, dass das Geheimnis darin bestand, sie zu verknüpfen. Doch wie? Anfangs war er unsicher gewesen, wie er vorgehen sollte, bis er begriffen hatte, dass der Kreis der Sternzeichen den Außenrand der Figur bilden musste, damit er das Quadrat, das Symbol für die Erde, umschließen konnte, das wiederum die durch neun Zahlen vertretenen Himmelssphären enthielt. Von da an war ihm alles klar gewesen, und das Zusammenfügen der beiden Zeichnungen hatte sich als viel einfacher als gedacht erwiesen.
Um das Rätsel endgültig zu lösen, musste er nur noch herausfinden, welche Zahl welcher Himmelssphäre zugeordnet war. Vermutlich, so sagte sich Ignazio, war Viviën genau an diesem Punkt gescheitert. Deshalb hatte er die Beschwörung nicht durchführen können.
Trotz der Folter hatte Ignazio geschwiegen, obwohl er bereits damals die Lösung ahnte. Sie musste im astrologischen System der Chaldäer zu finden sein, die den Sternenkult mit der Anbetung übernatürlicher Wesen, ähnlich den Engeln, verbanden.
Wenn seine Annahme stimmte, mussten die Himmelssphären von unten nach oben folgenden Zahlen entsprechen:
1 = Erde
2 = Mond
3 = Merkur
4 = Venus
5 = Sonne
6 = Mars
7 = Jupiter
8 = Saturn
9 = Fixsterne
Ignazio fiel auf, dass die Sonne, die der Zahl Fünf entsprach, in der Mitte des magischen Quadrats stand. Die anderen Himmelskörper umgaben sie wie Untertanen. Dies war bestimmt kein Zufall. Die geometrische und die mathematische Anordnung wiesen ihn in die gleiche Richtung!
Die Sonne musste die Lösung des Rätsels sein … Doch wie würde sie ihm helfen können, das letzte Geheimnis des »Uter Ventorum« zu entschlüsseln? Ignazio vermutete, dass die Lösung in dem in Toulouse befindlichen Teil des Buches lag, deshalb holte er die kleine Schriftrolle mit den sieben Beschwörungsformeln aus seiner Tasche und las sie im Schein des Feuers. Dort fand er sieben rituelle Formeln, die sich jeweils an ein himmlisches Wesen wandten: Syliāel,
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