Der häusliche Herd
allzu viele Bänder zu beschmutzen, trage ich den Orden nur,
wenn ich ausgehe. Wenn ich mich und meine Frau des Vergnügens
beraube, im Hause die Auszeichnung zu tragen, können unsere Kinder
sich wohl des Vergnügens berauben, Töchter zu machen.
Doch die Pichons wiesen einen solchen Gedanken von sich. Marie
erklärte, daß sie gar zuviel dabei gelitten habe, und Julius sagte,
er wollte sich lieber entzweischneiden lassen.
Die Vuillaume nickten zufrieden. Sie hatten ihren Kindern das
Versprechen abgenommen und verziehen ihnen.
Als die Uhr die zehnte Abendstunde schlug, erhoben sie sich, und
man küßte einander zum Abschied. Julius setzte seinen Hut auf, um
sie zum Omnibus zu begleiten. Die Wiederaufnahme der lieben alten
Gewohnheiten rührte sie dermaßen, daß sie auf dem Treppenabsatz
einander zum zweiten Male umarmten.
Auf das Treppengeländer gestützt, blickte
Marie ihnen nach, dann begab sie sich mit Octave in das
Speisezimmer zurück und sagte:
Mama ist nicht so böse; und dann hat sie auch recht; es ist ganz
und gar nicht angenehm, Kinder zu haben.
Sie hatte die Türe geschlossen und war damit beschäftigt, die
Gläser vom Tisch wegzuräumen. Das schmale, durch eine Lampe schwach
beleuchtete Zimmer war noch ganz warm von dem kleinen
Familienfeste. Lilitte schlief noch immer, das Köpfchen auf eine
Ecke des Tisches gebeugt.
Ich werde bald zu Bett gehen, murmelte Octave.
Dabei setzte er sich, denn er fand es recht behaglich in diesem
Zimmer.
Wie, Sie wollen schon schlafen gehen? bemerkte die junge Frau.
Es kommt bei Ihnen nicht allzuhäufig vor, so früh zu Bette zu
gehen. Sie haben wohl morgen zeitig etwas zu tun?
Nein, erwiderte er. Ich bin schläfrig – das ist alles. Aber ich
kann schon noch zehn Minuten bleiben.
Er dachte an Berta. Sie sollte erst um halb ein Uhr kommen, er
hatte also Zeit. Und der Gedanke, die Hoffnung, sie eine ganze
Nacht zu besitzen, machte sein Herz nicht mehr so heftig pochen.
Das qualvolle Verlangen, das ihn die Minuten zählen ließ, ihm
fortwährend das Bild des nahen Glücks vor die Seele zauberte,
ermattete unter der langen Erwartung.
Wollen Sie noch ein Gläschen Kognak? fragte Marie.
Mein Gott, ja.
Er dachte, es werde ihm frischen Mut einflößen. Als sie ihm das
Glas abnahm, ergriff er ihre Hände und behielt sie in den seinen.
Sie lächelte arglos. Er fand sie reizend in ihrer Blässe einer noch
nicht ganz wiederhergestellten Frau. Die
ganze Zärtlichkeit, die ihn erfüllte, kam jetzt in ihm zum
Durchbruch: sie stieg ihm bis in die Kehle, bis an die Lippen.
Er hatte sie eines Abends ihrem Gatten zurückgegeben, nachdem er
vorher einen väterlichen Kuß auf ihre Stirn gedrückt; und nun
fühlte er das Bedürfnis, sie wieder zu besitzen, ein unmittelbares
und heißes Verlangen, indem das Verlangen nach Berta, gleichsam
allzuferne, verschwamm, unterging.
Sie haben heute keine Furcht? fragte er sie, indem er ihre Hände
noch stärker drückte.
Nein, da
das
künftig unmöglich ist … Wir
werden stets gute Freunde bleiben!
Sie gab ihm zu verstehen, daß sie alles wisse. Saturnin mußte
geschwatzt haben. Überdies habe sie es wohl bemerkt, wenn Octave
die nächtlichen Besuche einer gewissen Person empfing. Da er voll
Unruhe erbleichte, beruhigte sie ihn rasch: sie werde keinem
Menschen ein Wort davon sagen; sie sei auch nicht böse darüber, sie
wünsche ihm vielmehr Glück zu seiner neuen Verbindung.
Als verheiratete Frau kann ich Ihnen doch nicht gram darüber
sein.
Er zog sie auf seine Knie nieder und rief:
Du bist es, die ich liebe!
Er sprach die Wahrheit; in diesem Augenblicke liebte er nur sie
mit einer grenzenlosen Leidenschaft. Seine neue Verbindung, die
zwei Monate, die er in dem Verlangen nach einer andern zugebracht,
waren völlig verschwunden. Wieder sah er sich in diesem schmalen
Zimmer, wie er kam, um Marie hinter dem Rücken ihres Mannes auf den
Nacken zu küssen, wie sie in ihrer passiven Sanftmut stets gefällig
findend. Das war das eigentliche Glück. Wie konnte er seinen Wert
verkennen? Er empfand tiefe Reue im Herzen. Er verlangte wieder nach ihr und fühlte, daß er sehr
unglücklich sei, wenn er sie künftig nicht besitzen werde.
Lassen Sie mich, flüsterte sie, indem sie sich losmachen wollte.
Sie sind nicht vernünftig. Sie werden mir Kummer verursachen… Da
Sie eine andere lieben, warum wollen Sie mich quälen?
So wehrte sie sich mit ihrer sanften Miene gegen Dinge, die ihr
kein Vergnügen machten. Doch er ward toll.
Du
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